Die rote Sahra fühlt sich überrollt

von Redaktion

Sahra Wagenknecht will Deutschlands politische Linke einen. Doch viele trauen dem Braten nicht. Sie fragen sich: Was will sie mit ihrer Bewegung „Aufstehen“ wirklich?

VON MARCUS MÄCKLER

München – Einmal reißt es sie dann doch. Das sei jetzt aber boshaft, sagt Sahra Wagenknecht, ihre Thesen mit denen der AfD zu vergleichen. Nie würde sie Flüchtlinge generell als Messerstecher verunglimpfen, immer habe sie das Asylrecht verteidigt. Aber die Migrationspolitik der letzten Jahre, die sei halt einfach fatal gewesen, ein AfD-Beschleuniger. So.

Ein Donnerstag im September. Wagenknecht sitzt in einem Café am Marienplatz, während sich draußen ihre Fans versammeln. Gleich hält sie eine Rede, die Stimmung in der Partei ist gut: Eine Umfrage sieht die Linke schon mit dem kleinen Zeh im bayerischen Landtag. Aber so gut ist sie dann doch nicht, die Stimmung. Denn wo Wagenknecht derzeit auch auftritt, immer geht es nur um ein Thema: ihre Sammlungsbewegung „Aufstehen“.

Eigentlich haben viele auf so ein Projekt gewartet. Endlich ein Versuch, die zersplitterte politische Linke zu einen. „Aufstehen“ will unglückliche SPD-Wähler einfangen und alle, die aus Frust zur AfD geflüchtet sind. Es gehe um eine neue linke Mehrheit, sagt Wagenknecht. Eine sozialere Politik.

Das müsste linke Herzen hüpfen lassen, wenn dieses Eigentlich nicht wäre. Rund 150 000 Menschen haben „Aufstehen“ sich bisher angeschlossen, 11 000 aus der Linken, 5000 aus der SPD und 1500 Grüne. Die meisten sind parteilos. „Das zeigt, dass ‚Aufstehen‘ Menschen mobilisieren kann, die durch die Parteien nicht mehr angesprochen werden“, sagt Wagenknecht. Das zeigt aber auch, dass in den Parteien Skepsis herrscht.

Vor allem in der Linken fragen sie sich: Wie mit diesem Ding umgehen, das keine Partei sein, aber politisches Gewicht entwickeln will? Manche sehen die Bewegung als Strohfeuer, andere warten neugierig ab. Wieder andere wittern einen Spaltungsversuch, obwohl Wagenknecht das hartnäckig dementiert. Entsteht da eine neue Konkurrenz-Partei?

Keine Frage, Wagenknecht ist ein Star, die beliebteste Linken-Politikerin – aber viele in der Partei haben Schwierigkeiten mit ihr – gerade wegen der Kritik an der Flüchtlingspolitik. Es sei einfach kontraproduktiv, so viel über Grenzen und Staatsversagen zu reden wie sie, sagt ein Genosse aus Bayern. Dass es für „Aufstehen“ sogar Applaus von ganz rechts gab – von Alexander Gauland und Frauke Petry – irritiert.

Für Wagenknecht ist das bloß der Versuch, ihrer Idee zu schaden. „Die AfD würde am meisten darunter leiden, wenn wir Erfolg hätten“, sagt sie. „Herr Gauland versucht, die Bewegung zu diskreditieren, indem er sie lobt.“

Das mag stimmen. Trotzdem sind die Berührungsängste der natürlichen Verbündeten groß. Als Wagenknecht ihre Bewegung Anfang September vorstellte, grenzte sich nicht nur ihr eigener Parteivorstand per Beschluss ab. Auch die Spitzen von SPD und Grünen distanzierten sich unisono. Selbst in der SPD-Linken, die mit dem Kurs der eigenen Partei hadert: große Fragezeichen.

Aber nicht überall herrscht Misstrauen. Andreas Wagner aus Geretsried, der für die Linkspartei im Bundestag sitzt, hat sich „Aufstehen“ sofort angeschlossen. Eine linke Bewegung sei dringend nötig, sagt er. „Es ist wichtig, die anderen Parteien anzuschieben.“ Wagenknecht formuliert es ganz ähnlich. Sie will vor allem die SPD so lange anschubsen, bis sie begreift, „dass sie so wie bisher nicht weitermachen kann“.

Bislang ist das so ziemlich der einzige Programmpunkt von „Aufstehen“. Es wirkt, als wisse Wagenknecht selbst nicht so genau, was sie mit ihrer Schöpfung anfangen soll. Sie sei „ein bisschen überrollt von den Ereignissen“, sagt sie im Café in München. Jetzt gehe es darum, Strukturen aufzubauen und erste Aktionen zu starten. „Dafür hatten wir kein fertiges Drehbuch.“

Viel Aufmerksamkeit, wenig Plan. Man könnte das als Geburtsfehler der Sammlungsbewegung bezeichnen. Es ist einer, der Unsicherheit schafft. In Bayern überlegten sie lange, ob es klug ist, Wagenknecht einzuladen. Am Ende entschieden sie sich dafür – niemand zieht mehr Publikum an als „die Sahra“.

Trotzdem – die Unruhe ist geblieben. Wagenknecht habe ihre Absichten nicht ausreichend in der Partei kommuniziert, sagt einer, der so seine Zweifel hat, ob die Bewegung etwas reißen kann. Man findet halt, die Sahra könne besser jagen als sammeln. Aber fürs Jagen fühlen sich schon andere zuständig.

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