Birmingham – Tänzelnd zu Abbas „Dancing Queen“ kommt Theresa May auf die Hauptbühne des Tory-Parteitags in Birmingham. Das sieht ein bisschen ungelenk aus. May weiß das. Gerade deswegen ist es ein selbstbewusster Auftritt – ganz anders als noch vor einem Jahr, als die britische Premierministerin vor Hustenanfällen kaum sprechen konnte. May hat den Fluch besiegt.
Zunächst holt May zum Schlag gegen Oppositionschef Jeremy Corbyn aus. Erst relativ spät spricht sie über den Brexit. Und es wird deutlich: Sie bleibt bei ihrem Kurs. Damit bietet sie der EU die Stirn, die ihre Vorschläge bereits im Wesentlichen zurückgewiesen hat. Und sie stellt sich frontal gegen ihre Kritiker in der eigenen Partei, vor allem den scheinbar ewig hinter den Kulissen lauernden Ex-Außenminister Boris Johnson.
Der hatte Mays Pläne zur engen Zusammenarbeit mit der EU nach dem Brexit – den sogenannten Chequers-Deal – als „Betrug“ an den Wählern abgestempelt und den Jubel von mehr als 1000 Anhängern genossen. Doch May schießt zurück und erntet ebenfalls großen Applaus. Am Ende des Parteitags der Konservativen ist klar: Die Abneigung gegen Mays Brexit-Pläne mag groß sein in der eigenen Partei, aber der Appetit auf einen Putsch ist kleiner.
In weniger als sechs Monaten tritt Großbritannien aus der EU aus. Die Furcht vor einem ungeregelten Ausscheiden scheint selbst bei eingefleischten Brexit-Enthusiasten durchzudringen. Kein Wunder, fast täglich kommen weitere Großunternehmen hinzu, die vor den drastischen Konsequenzen warnen. Dennoch betonte May: „Ich glaube felsenfest daran, dass unsere besten Tage vor uns liegen und dass unsere Zukunft voller Versprechen ist.“
Schon in zwei Wochen soll beim EU-Gipfel eine Lösung für Probleme stehen, auf denen die Brexit-Unterhändler schon mehr als ein Jahr herumkauen. Der Gipfel bringe die „Stunde der Wahrheit“ und man erwarte bis dahin „maximalen Fortschritt“, mahnte EU-Ratschef Donald Tusk beim informellen Gipfel in Salzburg vorletzte Woche.
Seit dem verkorksten Treffen vor prächtiger Alpenkulisse scheint die Stimmung zwischen London und Brüssel giftiger denn je. Erst brachte Tusk mit der Absage an Mays Chequers-Plan für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen die britische Politik in Wallung. Dann trieb der britische Außenminister Jeremy Hunt mit einem Vergleich der EU mit der Sowjetunion Brüsseler Politiker auf die Palme. „Natürlich schäumen jetzt die Emotionen auf allen Seiten“, beschwichtigte EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans im EU-Parlament. „Und man muss wohl einige der mit so viel Emotion gesagten Dinge wieder vergessen.“
Abhaken und weitermachen scheint auch die Devise der Unterhändler, die sich für die nächsten Tage ein dichtes Programm vorgenommen haben. Schon für heute wird der irische Ministerpräsident Leo Varadkar in Brüssel erwartet. Mit Chefunterhändler Michel Barnier und Ratschef Tusk wird er wohl beraten, wie man die Verhandlungen endlich aus der Sackgasse führen kann.
May präsentiert in ihrer Parteitagsrede keine neuen Vorschläge. Doch macht der Brexit-Minister Dominic Raab aus der zweiten Reihe Andeutungen, dass beim schwierigsten Punkt der Verhandlungen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist: der politisch heiklen Irland-Frage. Es geht darum, wie künftig Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können.
Britische Medien spekulieren, London erwäge – anders als bisher angekündigt –, im Notfall ganz Großbritannien in der Zollunion zu belassen und Nordirland im Binnenmarkt. Daraufhin meldete die nordirische DUP, auf deren Stimmen May im Parlament angewiesen ist, bereits Widerstand an. Nächste Woche will Brüssels Unterhändler Barnier die Parteichefin Arlene Foster empfangen. Wohl auch, um Schmerzgrenzen auszuloten.