Berlin/München – Seit einem Vierteljahrhundert streiten die Parteien, ob Deutschland ein Einwanderungsgesetz braucht. Nun hat die Große Koalition Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorgelegt, der noch in diesem Jahr durch den Bundestag soll.
Was ist im Kern geplant?
Fachkräfte mit Berufsabschluss und Deutschkenntnissen aus Nicht-EU-Staaten sollen zur Arbeitsplatzsuche für sechs Monate nach Deutschland kommen dürfen – wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Für abgelehnte Asylbewerber, die mit Duldungsstatus im Land sind, soll es nach bundesweit geltenden Regeln eine Arbeitserlaubnis und einen sichereren Aufenthaltsstatus geben. Wie der aussehen kann, ist aber noch völlig unklar.
Betroffen sind Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, die aber aus verschiedenen Gründen (meist Verweigerung des Heimatlandes) nicht abgeschoben werden können. Ihre Duldung wird bisher halbjährlich verlängert oder widerrufen; nach 18 Monaten können die Ausländerbehörden schon heute eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Vom „Spurwechsel“, also dem Wechsel aus dem Asylrecht in die Erwerbsmigration, wollten die beteiligten Minister nicht reden – obwohl es am Ende doch darauf hinauslaufen könnte.
Um wie viele Menschen geht es?
Zum vergangenen Jahreswechsel lebten in Deutschland rund 618 000 Menschen, deren Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde. 78 Prozent davon sind bereits in irgendeiner Form „legalisiert“, also nicht mehr lediglich geduldet. Dazu kommt eine nicht zu beziffernde Zahl an ausländischen Fachkräften, die den neuen Sechs-Monate-Korridor für die Jobsuche in Deutschland nutzen werden.
Wer durfte schon jetzt zur Jobsuche ins Land kommen?
Bisher war das nur für Ausländer mit Hochschulabschluss möglich. Sie können ins Land kommen, um sechs Monate lang auf Jobsuche zu gehen. Allerdings nur dann, wenn sie einen deutschen oder einen vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss haben. Außerdem müssen sie nachweisen, dass sie für ihren Lebensunterhalt in dieser Zeit selbst aufkommen. Arbeiten dürfen sie währenddessen nicht. Da der Fachkräftemangel auch nicht-akademische Berufe betrifft, wird dieser Personenkreis nun erweitert.
Durften „Geduldete“ bisher nicht arbeiten?
Doch, ab dem vierten Monat nach der Einreise. Auf den Aufenthaltstitel hat das aber bisher über Jahre hinaus keine Auswirkungen. Das bedeutet eine große Unsicherheit. Außerdem wissen die Arbeitgeber bisher nicht, wie lange ihnen der Mitarbeiter noch zur Verfügung stehen wird. Ausnahme: die (sehr unterschiedlich ausgelegte) 3-plus-2-Regel für Auszubildende, die zumindest für die Zeit der Ausbildung einen Anspruch auf Duldung garantieren soll.
Es gibt auch darüber hinaus Ausnahmen. Wer seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt, „hinreichende mündliche Deutschkenntnisse“ hat, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennt und wohl für seinen Lebensunterhalt aufkommen dürfte, der kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wer minderjährige Kinder hat, für den gibt es diese Möglichkeit schon nach sechs Jahren. Besondere Regelungen gelten für Jugendliche oder junge Auszubildende.
Wen betrifft die Neuregelung konkret?
Laut Horst Seehofers Innenministerium würden vor allem Menschen profitieren, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gekommen sind. „Es gibt aus den Jahren 2015 und 2016 eine Gruppe von Personen, die in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft gut integriert sind und aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können“, hieß es. „Gleichzeitig wollen wir für die Zukunft unter anderem mit Ankerzentren dafür sorgen, dass Asylverfahren beschleunigt und abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden.“