Oslo – Nadia Murad und Denis Mukwege haben Dinge erlebt und gesehen, die niemand je sehen sollte. Die junge Irakerin überlebte Monate als Sex-Sklavin der Terrormiliz IS: gefoltert, missbraucht, gedemütigt. Der kongolesische Arzt rettet Tausende schwerstverletzte Frauen, die mit Gewehrläufen, Bajonetten und abgebrochenen Flaschen vergewaltigt wurden. Beide, die junge Jesidin und der afrikanische Gynäkologe, lassen sich von diesen grausamen Erlebnissen nicht einschüchtern: Sie erheben ihre Stimme und zeigen der Welt, wie sexuelle Gewalt in Kriegs- und Konfliktgebieten als Waffe genutzt wird. Dafür erhalten Murad und Mukwege nun den Friedensnobelpreis.
Mehrere Hunderttausend Frauen werden Schätzungen zufolge in bewaffneten Konflikten jedes Jahr systematisch vergewaltigt. Ihre Körper werden zum Schlachtfeld militärischer Taktik. Das Ziel: Die Frauen brechen und ihre Männer demütigen. Solche Wunden verheilen schwer, sie hinterlassen Narben, die ganze Familien, ganze Gemeinschaften, ganze Völkergruppen zerstören können.
Der Tod, berichtete Murad nach ihrer Flucht aus der Sklaverei des Islamischen Staates, habe für sie den Schrecken verloren. „Der Tod ist harmlos im Vergleich zu der Hölle, durch die wir alle gehen mussten.“ Die heute 25-Jährige war gerade 19, ging noch zur Schule, als der Islamische Staat ihr Dorf im Sindschar-Gebiet überfiel. Ihre Mutter und sechs Brüder wurden getötet, Nadia gefangen genommen, benutzt, weiter verkauft. „Blonde, blauäugige und hellhäutige Mädchen waren besonders gefragt“, erzählte sie später.
Drei Monate überlebte sie, wo viele längst aufgegeben hätten. Bis die junge Frau beim Kauf einer Burka ihren Peinigern entkam. Ausgerechnet eine muslimische Familie half der jungen Jesidin bei der Flucht ins kurdische Grenzgebiet. Von dort gelangte Murad nach Baden-Württemberg, wo sie heute noch lebt. Und wo sie den Kampf gegen den IS-Terror aufgenommen hat. Murad spricht offen über ihre Qualen, klagt an, inzwischen sogar als Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen. „Ich bewundere ihren Mut und Aktivismus“, sagt der Premierminister der kurdischen Autonomieregierung.
Denis Mukwege hat Murad nie behandelt, doch er kennt Tausende Frauen mit ähnlichen Schicksalen. In seiner von Konflikten zerrissenen Heimat Kongo sind Frauen zur Beute degradiert. Vergewaltigung sei als Wort noch zu schwach für das, was sie erlebten, sagt der 63-jährige Gynäkologe. Er nutzt den Begriff „sexueller Terror“. Hilfsorganisationen bezeichnen sein Land als Vergewaltigungshochburg der Welt. Eine US-Studie, die 2011 veröffentlicht wurde, berichtete von 48 Frauen, die jede Stunde brutal missbraucht wurden, mehr als 1100 Mal am Tag. Mukwege gründete 1999 das Panzi-Krankenhaus in Bukavu im instabilen Osten des Landes. Dort behandelt er Frauen mit verletzten inneren Organen. Mädchen, die viel zu früh schwanger wurden, denen Sex und Geburt schwere innere Verletzungen zufügten, denen Urin und Fäkalien unkontrolliert aus dem Körper laufen. Mukwege flickt sie nicht nur zusammen, er bietet ihnen psychologische, juristische und finanzielle Unterstützung an. Denn die Frauen müssen fürchten, von ihrer Familie verstoßen zu werden. Mukwege riskiert für diese Frauen sein Leben. Bei einem Überfall auf sein Haus wurde ein Freund getötet, im vergangenen Jahr ein Kollege.
„Denis Mukwege und Nadia Murad riskieren ihre eigene Sicherheit, indem sie mutig Kriegsverbrechen bekämpfen und Gerechtigkeit für die Opfer suchen“, betonte die Jury. „Wir wollen die Botschaft aussenden, dass Frauen tatsächlich als Waffe im Krieg benutzt werden, dass sie Schutz brauchen und dass die Täter bestraft werden müssen. Wir sind überzeugt, dass das Voraussetzung für Frieden ist.“