Kiel – Es ist eine Anspannung wie wohl noch nie in der Union seit Beginn der Ära Angela Merkel vor gut 13 Jahren. Zerlegt sich die CSU-Spitze nach einem Absturz bei der Bayern-Wahl in einer Woche? Bringt ein schmutziger Machtkampf zwischen Horst Seehofer und Markus Söder und die Suche nach Schuldigen auch die Hessen-CDU zwei Wochen später um die Macht? In der CDU-Spitze fürchten manche, dass eine kaum beherrschbare Dynamik entsteht, die am Ende CDU-Chefin Merkel das Amt kosten könnte.
In der CDU laufen sich am Wochenende beim Deutschlandtag der Jungen Union in Kiel schon mal drei Tage lang mögliche Nachfolgekandidaten warm. Der Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer geben die gut 300 Delegierten des Unions-Nachwuchses ein starkes Zeichen der Unterstützung mit auf den Weg. Schon bei einer ausgelassenen JU-Party im Norwegenkai, wo sonst die Passagiere für die Fähren in den Norden abgefertigt werden, wird Kramp-Karrenbauer mit lautstarken „Annegreat“- Sprechchören gefeiert.
Am Sonntag hält sie eine ziemlich konservative Rede, das kommt beim Nachwuchs gut an. Sie schickt eine scharfe Mahnung nach München. Schuldzuweisungen vor einer Wahl – das hätte Strauß nie gemacht. Später folgt eine Attacke gegen Recep Tayyip Erdogan – wenn der türkische Präsident nicht aufhöre, einen Keil zwischen Deutschtürken und deutsche Gesellschaft zu treiben, müsse noch mal die Abschaffung des Doppelpasses diskutiert werden. Die JU-ler sind begeistert – noch immer tragen sie Merkel nach, sich an den Doppelpass zu klammern. Spürbar grenzt sich Kramp-Karrenbauer auch von ihrer Fördererin ab, als sie sagt, heutzutage reiche es nicht mehr aus, einfach darauf zu setzen, gute Regierungsarbeit abzuliefern. Jetzt seien Visionen für die Zukunft gefragt, ruft die Generalsekretärin, bis sie heiser ist.
Vor Kramp-Karrenbauer feiern die JU-ler minutenlang den neuen Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Manche meinen, der Westfale habe für seine inhaltlich starke Rede sogar stärkeren Jubel bekommen als die Generalsekretärin. Ihren Liebling Jens Spahn begrüßen sie in Kiel mit dem Lied „Ich spring von Level zu Level zu Level“ des Rappers Marteria. Was mag wohl das nächste Level sein, auf das der Gesundheitsminister springt? Parteichef? Kanzler? Spahn gibt sich zupackend, aber auch staatstragend zurückhaltend.
Merkel hält dann eine teils angriffslustige Rede, die entgegen mancher Erwartungen gut im Saal ankommt. Die Umfragen seien ja gut erklärbar, hält sie dem Nachwuchs entgegen. Sie meint den erbitterten Streit, mit dem CSU und CDU immer mehr Anhänger vergrault haben. Nun dürfe man nicht weiter „miteinander Fingerhakeln“.
Viele in der Halle johlen, als sie zum Schluss süffisant sagt: „Der geschäftsführende JU-Bundesvorstand: Schön männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen. Und ich sag’ Ihnen: Frauen bereichern das Leben. Nicht nur im Privaten, auch im Politischen. Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.“ In der JU-Spitze liegt der Frauenanteil bei: Null.
Dass die Kanzlerin sich selbst keine Illusionen über ihre Lage in der CDU macht, zeigt eine kleine Szene mit JU-Chef Paul Ziemiak. Merkel bekommt Wandersocken und eine Windjacke. Sie ziehe daraus die Schlussfolgerung, „dass sie mich nicht im Regen stehen lassen wollen“, sagt die CDU-Chefin trocken.