Wien – Er wollte in Brüssel die Grundwerte der EU verteidigen, doch nun kommt alles ganz anders. Christian Kern war erfolgreicher Manager, zeitweise Lichtgestalt der Sozialdemokraten in Österreich, Kurzzeit-Kanzler. Es folgte die ungeliebte Rolle des Oppositionschefs, in Brüssel sollte nun alles besser werden. „Wir haben eine Auseinandersetzung zu führen mit Kräften, die Europa zerstören wollen“, wiederholte Kern immer wieder. Doch diesen Kampf wird er nun nicht mehr mitkämpfen. Kern gab am Samstag seinen Rückzug aus der Politik bekannt.
Stattdessen möchte der 52-Jährige, der als Manager Karriere gemacht hatte, bevor er als Quereinsteiger in die Politik kam, zurück in die Wirtschaft. „Ich hab immer gesagt, ich bin kein Berufspolitiker und ich möchte nicht bis an mein Lebensende in der Berufspolitik – bei allem Respekt davor – bleiben“, sagte Kern. Statt ihm soll für die SPÖ nun eine Doppelspitze aus Andreas Schieder und der langjährigen EU-Parlamentarierin Evelyn Regner bei der Europa-Wahl im Mai 2019 an den Start gehen.
Mit seinem kompletten Rückzug aus der Politik setzt Kern fast drei Wochen nach seinem Rücktritt von der SPÖ-Spitze den Schlusspunkt eines chaotischen und lauten Abgangs. Der 52-Jährige hatte am 18. September bereits völlig überraschend den SPÖ-Vorsitz abgegeben. Die Partei ließ damals stundenlang Spekulationen zu, dass sich Kern komplett aus der Politik zurückziehe und bestätigte diese Gerüchte später sogar. Kern erklärte aber stattdessen, dass er die Spitzenkandidatur der europäischen Sozialdemokraten anstrebe.
Daraus wird nun nichts. „Ich habe feststellen müssen, dass es als ehemaliger Regierungschef eigentlich gar nicht möglich ist, diese innenpolitische Bühne zu verlassen“, sagte Kern. Statt der wichtigen Diskussion um Europas Zukunft mehr Gewicht zu verleihen, seien alle seine Bemühungen weiter ständig unter dem Eindruck der Innenpolitik diskutiert worden. „Nach den zweieinhalb Jahren in der Politik ist mein Bedarf nach diesen innenpolitischen Spielen extrem begrenzt.“
Für diese Art des schonungslosen Artikulierens schätzten ihn viele. Kern war der kantige, kluge Parteichef – der das politische Geschäft nun etwas verzweifelt verlässt. Und das, obwohl er Österreichs Sozialdemokratie tatsächlich auf ein – gerade auch mit Blick auf die deutschen Verhältnisse – bemerkenswertes Niveau führen konnte. Knapp 27 Prozent bei der Wahl im Oktober 2017, in Umfragen lagen die Sozialdemokraten zuletzt immer noch bei 27 Prozent. Davon kann die SPD nur träumen.
Kerns Verhängnis war Sebastian Kurz. Der damals 30-Jährige krempelte die lahmende konservative ÖVP zur flotten Bewegung um. Er wurde jüngster Regierungschef in Europa – und sitzt heute dank einer Koalition mit der rechten FPÖ fest im Sattel.
Kern stritt sich derweil parteiintern mit einigen Kritikern und kam mit der Rolle des Oppositionsführers nicht zurecht. Nun also das Ende der politischen Karriere. Ein „ordentliches Glas Rotwein“ werde er sich genehmigen, erklärte Kern am Samstag noch. „Einen guten Roten erkennt man schließlich am Abgang.“ dpa