München – Der Tag danach hat etwas Gespenstisches. „Ich fühle mich einfach nur leer“, sagt Isabell Zacharias. Der langjährigen Münchner Abgeordneten aus der einstigen SPD-Hochburg Schwabing geht es wie vielen in ihrer Partei: Sie weiß gar nicht, was sie sagen soll. Und sie wartet auch am Montagnachmittag noch auf die Nachricht, ob sie der auf 22 Sitze geschrumpften SPD-Fraktion noch angehören wird.
So sprachlos hat man selten eine Partei erlebt. Klar, es wird viel telefoniert. Trauerarbeit. Aber so richtig aus der Deckung kommt am Montag nur einer: Markus Rinderspacher. Der langjährige Fraktionschef will in der neuen Legislaturperiode nicht mehr für den Vorsitz kandidieren. „Mit dieser Entscheidung übernehme ich demokratische Mitverantwortung für das Wahlergebnis und setze ein Zeichen der politischen Kultur“, schreibt Rinderspacher in einem Brief an seine Abgeordneten. Er wolle damit den Weg frei für einen Neuanfang machen.
Rinderspacher hatte das Amt im Oktober 2009 als Nachfolger von Franz Maget angetreten – der erst 49-Jährige blickt damit auf die drittlängste Amtszeit in der SPD seit dem Zweiten Weltkrieg zurück. Für die Landtagswahl hatte der Münchner als möglicher Spitzenkandidat gegolten, überließ aber Natascha Kohnen das Feld.
Den Abgeordneten dankt Rinderspacher in seinem Schreiben für ihre Loyalität. „Ihr habt mich und meine Arbeit auch in herausfordernden Zeiten getragen und gestützt. Niemand weiß besser als ich, dass dieses besondere Vertrauen in unserer oftmals zerrissenen SPD keineswegs selbstverständlich war und ist.“
Ansonsten herrscht Ratlosigkeit. Schon die Telefonkonferenz des Landesvorstands am Sonntagabend hatte nur 15 Minuten gedauert. Am Montag fliegt Natascha Kohnen nach Berlin, um im Willy-Brandt-Haus das Debakel zu beraten. Einst hatte sich die Bayern-SPD mit dem jungen Trio Kohnen, Rinderspacher und Florian Pronold auf den Weg in eine bessere Zukunft gemacht. Pronold und Rinderspacher sind schon weit vor ihrem 50. Geburtstag Vergangenheit. Kohnen ist übrig. Aber kann man nach so einem Wahlergebnis Landesvorsitzende bleiben? Oder gar nach der Fraktionsspitze greifen?
Kohnen selbst schweigt dazu. Gemeinsam werde man nun die Analyse vornehmen. „Das Ergebnis tut unglaublich weh“, sagt sie am Montag in Berlin. „Wir haben geschlossen gekämpft, wie noch nie.“ Selbst die Jusos hätten erstmals in der Geschichte einen eigenen Wahlkampf gestartet. Jetzt solidarisieren sie sich in den Sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #nataschableibt.
Natürlich melden sich Kritiker: Alt-OB Christian Ude und sein Vertrauter Florian Post. Kohnens Urwahl-Kontrahent Florian von Brunn fordert den Rücktritt des kompletten Vorstands. Im Gegenzug wurde Kohnen gestern von mehreren Oberbürgermeistern in einer telefonischen Besprechung gebeten, als Vorsitzende weiter zu machen. Den Fraktionsvorsitz könnte dafür jemand aus Nordbayern übernehmen: etwa die Franken Inge Aures oder Volkmar Halbleib.
Allen ist klar: Zumindest ein Teil des Problems kommt aus Berlin. Noch immer hadern sie in der SPD mit ihrer Entscheidung für die GroKo. Der ewige Streit in der Union, von dem sich die Genossen nicht frei machen können. „Dass sich der ganze Stil der Zusammenarbeit ändern muss, ist offensichtlich“, sagt Bundes-Chefin Andrea Nahles. Sie meint die CSU. Dabei hat es auch zwischen Kohnen und Nahles im Streit um Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen ordentlich gekracht. Dicke Freundinnen werden die beiden vermutlich nicht mehr.
Nahles bekommt nicht nur aus München Gegenwind. Doch eine echte Aufarbeitung gibt es an diesem Montag noch nicht. „Das schlechte Bild der Bundesregierung hat auch dazu beigetragen, dass wir nicht durchgedrungen sind mit unseren Themen“, sagte Nahles nur. Kritiker haben sich vor der Hessen-Wahl einen Maulkorb verpasst. Am 28. Oktober soll es dort besser laufen als in Bayern. „Dort sind wir in einer anderen Situation“, sagt Nahles. In Wiesbaden regieren die Grünen mit einem schwarzen Ministerpräsidenten. Die SPD kommt aus der Opposition.
Geht es schief, könnte es für Nahles eng werden. Für den 4. und 5. November ist eine Klausur geplant. Zur inhaltlichen Neuausrichtung. Oder auch zur personellen.