München – Der Mann mit der Fliege um den Hals sticht mitten ins Wespennest. „Wenn es nicht besser wird, hallo, dann machen wir auch nicht weiter“, sagt Karl Lauterbach gestern im „Morgenmagazin“ der ARD. Was der Gesundheitspolitiker und SPD-Parteilinke da früh am Tag in den Raum stellt, würde nicht weniger bedeuten als den Rückzug der Sozialdemokraten aus der Bundesregierung – und somit das vorzeitige Ende der Großen Koalition. Der Grund ist einfach: Lauterbach hält den „Riesenstreit“ in Berlin für äußerst schädlich für seine Partei und für einen der Hauptgründe für die vernichtende Niederlage bei der Landtagswahl in Bayern. Und mit dieser Meinung steht er nicht alleine. Selbst SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach nach dem Wahldebakel von einem „Signal an die Große Koalition, das gestern von Bayern ausgegangen ist“. Die Stimmung scheint sich mehr und mehr gegen das ohnehin ungeliebte Bündnis mit der Union zu wenden.
Dass der kriselnde Partner die Zweckbeziehung zunehmend in Frage stellt, haben auch CDU und CSU bemerkt – und versuchen die Wogen zu glätten. CSU-Chef Horst Seehofer räumt gestern nicht nur ein, in der Flüchtlingsdebatte möglicherweise nicht immer Stil und Ton getroffen zu haben, er schließt auch ein vorzeitiges Ende der Regierungskoalition im Bund aus. „Wir wollen diese Große Koalition. Wir wollen, dass sie erfolgreich arbeitet.“ Und die Erfolge seien doch nachweislich auch da, sagt Seehofer. Bei der Pflege, bei der Rente, oder mit dem Kita-Gesetz habe sich alleine in den vergangenen Wochen jede Menge getan. Man müsse nur auch endlich darüber reden.
Auch CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn glaubt zumindest offiziell nicht, dass die SPD die Koalition verlassen könnte. „Warum sollte sie?“, stellt er dem „Tagesspiegel“ die Gegenfrage. Das Vertrauen der Wähler gewinne schließlich nur, wer liefere. „Wie stabil die Große Koalition arbeitet, haben wir selbst in der Hand“, sagt Spahn. Andersherum gelte: „Wer vor Verantwortung wegläuft, verliert.“
Doch es gibt auch andere Stimmen in der Union. Erst kürzlich hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erklärt, er halte die deutsche Demokratie durchaus für stark genug, einen Regierungsaustritt der SPD zu verkraften. Lapidar zusammengefasst hat Schäuble das in dem Satz: „Wenn die SPD irgendwann nicht mehr kann, geht davon die Welt nicht unter.“ Auch eine sich eventuell anschließende Minderheitsregierung müsse man nicht fürchten, da „die Väter und Mütter des Grundgesetzes“ die Position des Kanzlers ausreichend stark angelegt hätten. CDU-Bundesvize – und Schäuble-Schwiegersohn – Thomas Strobl legte jüngst nach und brachte ebenfalls eine Minderheitsregierung ins Gespräch. Zudem schloss Strobl auch neue Verhandlungen mit Grünen und FDP über ein Jamaika-Bündnis nicht aus. Was FDP-Chef Christian Lindner sogleich zu dem Hinweis veranlasste, für diesen Fall brauche es in der Union erst einmal „neue Personen und neue Programme“. Sprich: Lindner will nur ohne Angela Merkel und Horst Seehofer.
An der Spitze der Unionsfraktion versucht man solche Ideen gestern schnell einzufangen. Deutschland brauche funktionierende Strukturen, die garantierten, dass politische Entscheidungen auch in Europa zügig umgesetzt werden könnten, betont der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer. „Dafür ist aus meiner Sicht eine Minderheitenregierung nicht das bevorzugte Mittel, sondern wir brauchen stabile Mehrheitsverhältnisse.“
Und zumindest bis zur Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober dürfte sich die GroKo tatsächlich noch außerhalb größter Gefahr befinden. Bis dahin will auch Lauterbach noch die Füße still halten. Der dortige SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel habe schließlich über Jahre gute Oppositionsarbeit gemacht und bei der Wahl echte Chancen. „Das darf jetzt nicht vergeigt werden.“ Dass die Debatte aber auch weitergehen wird, wenn die Hessen-Wahl glimpflich abgeht, ist ebenfalls klar. Denn im Koalitionsvertrag ist zur Halbzeit der Wahlperiode im Herbst 2019 eine Überprüfung der Zusammenarbeit vereinbart. Darauf hatte die SPD bei den Verhandlungen Anfang des Jahres gedrungen. mit dpa