Brüssel – Das hat es noch nicht gegeben bei einem EU-Gipfel. Ohne ein Wort für die Kameras und wartende Journalisten verlässt Kanzlerin Angela Merkel am Abend die Konferenzstätte – um wenig später und bei bester Laune mit drei Herren auf dem schönen Grand Place von Brüssel das Glas zu heben. „Spontan“ und „zufällig“ sei das Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Luxemburgs Premier Xavier Bettel und Belgiens Ministerpräsident Charles Michel zustande gekommen, heißt es am nächsten Morgen. Gab es etwas zu feiern? Eigentlich nicht, eher im Gegenteil.
Jedenfalls blieben die Resultate dieses Oktober-Gipfels vor allem beim Brexit klar hinter den Erwartungen zurück. Besorgniserregend ist dabei, dass diese Ergebnislosigkeit zur Routine zu werden scheint. Die in Berlin durch Koalitionsgezänk und Autoritätsverlust in der eigenen Partei angeschlagene Kanzlerin kann es wohl auch in Brüssel nicht mehr richten. Brexit – fünf Monate vor dem Ausscheiden der Briten aus der EU kein Vertrag in Sicht. Flüchtlingspolitik – seit drei Jahren kaum Fortschritt. Stabilisierung der Eurozone – mal wieder aufgeschoben.
Wurde ein paar Tage vorher noch über eine lange Nachtsitzung von Mittwoch auf Donnerstag und die Chance auf einen Durchbruch spekuliert, geht es beim Thema Brexit dann unerwartet schnell und ergebnislos zu Ende. Erst spricht die britische Premierministerin, sie hat keine Neuigkeiten mitgebracht. Ungeklärt immer noch die entscheidende Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland verhindert werden können.
Keine Fragen an Theresa May, nach 15 Minuten verlässt sie den Raum. Dann sind die übrigen 27 unter sich. Zwei Stunden später gibt es auch hier nichts mehr zu sagen. Merkel sagt später, mit der Irland-Frage gelte es „eine intellektuell spannende Aufgabe zu lösen“. Man kann auch sagen: Die Lösung ist extrem schwierig.
Wie verabredet betonen am Ende alle das Positive. Ratspräsident Donald Tusk sagt, die Stimmung sei viel besser als beim letzten Gipfel in Salzburg gewesen. Dies sei zwar eher Bauchgefühl als rationale Einschätzung. „Aber Sie wissen ja: Emotionen sind wichtig in der Politik.“ Auf der Suche nach Lobenswertem hat auch Parlamentspräsident Antonio Tajani ein Detail bei May ausgemacht: „Ihre Körpersprache war positiver als in der Vergangenheit.“
Gute Stimmung allein bringt jedoch keine Beschlüsse. Zuletzt gab es bei den EU-Gipfeln selten konkrete Ergebnisse. Konsens erzielen die Staats- und Regierungschefs nur noch unter größtem Druck. Wie im Juni, als sie sich – auch unter dem Eindruck des deutschen Streits über die Zurückweisung von Migranten an der Grenze – auf eine vage Verschärfung der Asylpolitik einigten. Rund 13 Stunden dauerte es, ehe es gegen 4.30 Uhr am Morgen endlich Ergebnisse gab. Merkel hatte sich noch einmal aufgebäumt und konnte im Kreise ihrer Kollegen etwas bewirken.
Damals kam der Druck auch von einer zweiten Seite: Italien drohte, ohne Entgegenkommen beim Thema Asyl die Gipfelerklärung platzen zu lassen. Geschehen ist seit dieser denkwürdigen Gipfelnacht allerdings wenig. Man hat sich etwas Luft verschafft – mehr nicht. Mit den sogenannten Ausschiffungsplattformen in Nordafrika geht es ebenso wenig voran wie mit den „kontrollierten Zentren“ innerhalb der EU. Auch das Rückführungsabkommen zwischen Deutschland und Italien liegt noch immer auf Eis.