München – Ihn traf die Nachricht ganz persönlich. „Versteht man in Washington wirklich nicht, wohin das führen könnte?“, fragte der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow in einem Interview und erinnerte an den Wert des INF-Vertrags, an die Kontrolle, die er Amerikanern und Russen gebe. Dann sagte er noch: „Das muss man schätzen!“
Gorbatschow muss es wissen. Als er und der damalige US-Präsident Ronald Reagan das Abkommen 1987 unterzeichneten, war das ein großer Schritt hin zum Ende des Kalten Krieges. Beide Staaten verzichteten fortan auf landgestützte, atomar bewaffnete Raketen oder Marschflugkörper. Etwa 2700 Kurz- und Mittelstreckenraketen wurden vernichtet. Ein Erfolg, vor allem auch für Deutschland, wo bis dahin atomare Mittelstreckenraketen stationiert waren. Trotzdem will US-Präsident Donald Trump das Abkommen nun kündigen.
Hintergrund ist ein Streit, der seit Jahren tobt. Amerikaner und Russen werfen sich gegenseitig vor, den Vertrag zu brechen. Die USA glauben, der neue russische Marschflugkörper SSC-8 könne Atomwaffen über weit mehr als 500 Kilometer, potenziell bis nach Mitteleuropa transportieren – was der INF-Vertrag ausdrücklich untersagt. Die Russen wiederum fühlen sich vom Nato-Raketenabwehrsystem im rumänischen Redzikowo bedroht.
Wer Recht hat und wer nicht, ist schwer zu beurteilen. Der Kreml betont immer wieder, Washington habe keine Beweise für seine Behauptung. Dass von der US-Basis in Rumänien theoretisch auch Marschflugkörper starten könnten, ist indes nicht neu. Darauf zu verweisen, sei aber ein „sehr bemühter Versuch der Russen, den Amerikanern einen Vertragsbruch anzudichten“, sagt der Sicherheits-Experte Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Trumps Ankündigung löste nicht nur im Kreml Entsetzen aus. Sigmar Gabriel, bis vor einem Jahr deutscher Außenminister, warnte vor einer Aufrüstungsspirale wie im Kalten Krieg, die Deutschland und Zentraleuropa „zu einem Schauplatz des atomaren Wahnsinns“ machen könne. Es brauche nun einen neuen Anlauf für Rüstungskontrolle, schrieb er bei Twitter. Überhaupt dürfe es kein Automatismus sein, dass Trump Atomraketen wieder in Deutschland stationiere.
Wie Gabriel fürchtet auch Sicherheits-Experte Michael Paul weitreichende Folgen, sollten die USA den INF-Vertrag wirklich kündigen. „Das wäre auch ein verheerendes Signal im Hinblick auf die Fortsetzung des New-Start-Vertrags“, sagt er. Dabei handelt es sich um ein zweites Abkommen, bei dem sich die USA und Russland darauf einigten, auch atomare Langstreckenraketen Stück für Stück zu begrenzen.
Viel steht auf dem Spiel, darauf deuten nicht zuletzt die Warnrufe aus Moskau, Peking, Brüssel und Berlin hin. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Trumps Ankündigung Teil eines taktischen Manövers ist. Immerhin kam sie just vor dem Russland-Besuch seines Sicherheitsberaters John Bolton, bei dem es ausdrücklich auch um den INF-Vertrag gehen soll.
Außerdem hat Trump noch ein weiteres Land im Blick: China. Die USA stören sich daran, dass der INF-Vertrag sie daran hindert, dem chinesischen Aufrüsten etwas entgegenzusetzen. Zwar verfügt Peking nur über ein vergleichsweise kleines Arsenal an Atomwaffen, dafür rüstet es bei Mittelstreckenraketen massiv auf. Trump betonte nicht zufällig, dass Russland und China einem neuen Vertrag zustimmen müssten. Signale aus Peking? Fehlanzeige.
Noch ist Trumps Ankündigung nur: eine Drohung. Und die Appelle, den INF-Vertrag zu erhalten, sind laut. Gut so, sagt Michael Paul. „Gerade Deutschland ist wegen seiner geostrategischen Lage auf diesen Vertrag angewiesen.“