Kassel – „Wenn Sie Wut haben auf das, was in Berlin läuft, schreiben Sie mir einen Brief. Und dann gibt es ja auch wieder eine Bundestagswahl. Aber jetzt geht es um Hessen“, rief Bundeskanzlerin Angela Merkel den gut 900 Zuhörern im Saal des Kasseler Hotels La Strada zu.
Schützenhilfe für Volker Bouffier im Wahlkampf sollte sie dort gestern Abend geben. Das tat sie trotz der Querelen der vergangenen Monate, Wochen und Tage kraftvoll. Keine Spur von Erschöpfung. Stattdessen elanvolle Appelle der sonst oft verhalten wirkenden CDU-Parteivorsitzenden an die Wähler, ihre Stimme der CDU zu schenken. Und damit auch ihr selbst.
Denn die Landtagswahl in Hessen am kommenden Sonntag könnte das Ende der Großen Koalition in Berlin und von Merkels Kanzlerschaft bedeuten. Am Wochenende hatte Bouffier selbst die Dauerquerelen im Bund für das Absacken seiner Partei verantwortlich gemacht. In der letzten Sonntagsfrage von Infratest dimap für die ARD fiel die CDU auf 26 Prozent, die SPD erreichte mit 21 Prozent einen historischen Tiefstwert. Im Kommen sind hingegen die Grünen. Mit nun 20 Prozent sind sie die drittstärkste Kraft und liegen damit klar vor der AfD, die mit 12 Prozent den Einzug ins letzte Landesparlament geschafft hätte. Mit jeweils 8 Prozent wären außerdem Die Linke und die FDP vertreten.
Es deuten sich also ein Sechs-Parteien-Landtag und schwierige Koalitionsverhandlungen in Hessen an. Einer Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP scheint eine deutliche rechnerische Mehrheit gewiss. Eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen oder auch eine rot-grün-rote Landesregierung könnten knapp möglich sein. Bei allen Umfrageergebnissen bleibt der Wähler die große Unbekannte: Nur 60 Prozent der Wahlberechtigten gaben an, schon fest entschieden zu haben, wen sie wählen. Nicht zuletzt die Landtagswahl in Bayern hat gezeigt, dass alles möglich ist.
Das Rennen ist also noch offen, aber es wird eng für die CDU. Das wissen auch Bouffier und Merkel. Und so betonte Bouffier gestern vor allem die seiner Meinung nach erfolgreiche und geräuschlose Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren: „Wir haben einen beispielhaften Stil ohne ständige Auseinandersetzungen gezeigt.“ Die Arbeitslosenquote im Land sei so gering wie nie zuvor, den Menschen in Hessen gehe es gut. Seine Partei sorge dafür, dass das so bleibe. „Hessen braucht keine Experimente“, so Bouffier.
Von der AfD grenzte sich Bouffier klar ab. „Diese Alternative ist keine gute Alternative für Hessen.“ Ebenso wetterte er gegen links. Eine linke Mehrheit sei „Gift für Hessen“. Die CDU habe einen klaren Kurs. Das hätte die Partei auch in der Flüchtlingsfrage gezeigt. „Wir kommen denen gerne entgegen, die bleiben dürfen. Aber es geht nur miteinander.“ Wer sich nicht an Regeln halte, müsse gehen, so der Ministerpräsident.
Auch Merkel betonte die Fortschritte in der Asylpolitik, räumte aber auch Fehler ein. Zwar sei es kein Fehler gewesen, die Menschen aus Syrien aufzunehmen, aber es sei falsch gewesen, vorher kein Auge auf die Verhältnisse in dem Land gehabt zu haben, so die Kanzlerin selbstkritisch. Die Flüchtlingskrise werde Deutschland auch in den kommenden Jahren noch Kraft kosten, räumte sie ein. „Doch wer außer der CDU – vorzugsweise mit der CSU – kann das stemmen?“