„Es ist wie bei einem unerwarteten Sterbefall“

von Redaktion

Die Abgeordnete Isabell Zacharias (SPD) muss den Landtag verlassen – Tief getroffen räumt sie ihr Büro

München – Isabell Zacharias blickt wehmütig in die Papiertonne. Eben hat sie wieder eine Fuhre Broschüren und Bücher entsorgt. „Die Rolle der Fachhochschulen im Wissenschaftssystem.“ Solche Sachen. Bis vor ein paar Tagen war die 53-Jährige für die Hochschul- und Kulturpolitik der SPD-Fraktion zuständig. Jetzt räumt sie ihr Büro. „Ich könnte heulen“, sagt sie mit Blick auf die Bücher. Wobei. „Mit dem Heulen bin ich eigentlich schon durch.“

So ist das in einer Demokratie. Am Wahlabend gibt es Gewinner und Verlierer. Politikwissenschaftler und Journalisten analysieren Gründe. Klingt alles sehr schlüssig. Aber gelten sie auch für einzelne Abgeordnete? Für eine wie Zacharias? Eines der besten Erststimmenergebnisse der SPD hat sie geholt. Am Ende fehlen ihr im ganzen Freistaat 208 Stimmen.

Jetzt wickelt sie ihr Büro ab. Wutbürger, die auf die Bonzen in der Politik schimpfen, sollten hier mal vorbeischauen. Es würde ihr Weltbild erschüttern. Ismaninger Straße 17. 300 Meter vom Landtag entfernt. Ein unscheinbares Bürohaus. Drinnen schlichte Räume, grauer Teppich, graue Tische, graue 80-Jahre-Schränke.

Auch die Stimmung ist grau. Zacharias hat die Hälfte schon ausgeräumt. Auch das Bürgerbüro in Schwabing löst sie auf. „Es ist wie bei einem unerwarteten Sterbefall – es gibt so viel zu tun, dass man gar nicht zum Nachdenken kommt.“ Bis 5. November muss sie raus sein. „Dann zieht wahrscheinlich die AfD hier ein“, sagt sie verbittert. Ihrem behinderten Sohn, dem siebenjährigen Theo, hat sie versprochen, in den Herbstferien wegzufahren. Deshalb bleibt nur noch bis Freitag Zeit.

Isabell Zacharias, geboren in Husum, ist eine, die das Herz auf der Zunge trägt. In der graugesichtigen SPD-Fraktion stach die Frau mit der markanten Brille hervor. Laut, lustig, links und auch ein bisschen unangepasst. Die „Süddeutsche Zeitung“ widmete ihr vergangene Woche eine ganze Seite 3. „Leider erst nach der Wahl“, grummelt sie. Zehn Jahre lang saß sie im Parlament. Mit Haut und Haar. Keine für die Hinterbank.

Für eines der begehrten Büros im Maximilianeum hatte es dennoch nicht gereicht. Stattdessen hier die angemieteten Räume in der Umgebung. Ein Zimmer ist schon leer. Im anderen werkelt noch ein wissenschaftlicher Mitarbeiter. Mit Zacharias verlieren vier Menschen ihren Job, zwei von ihnen sind seit zehn Jahren dabei. Eine befindet sich gerade in Mutterschutz. Die Chefin will dafür sorgen, dass alle irgendwo wieder unterkommen.

Und sie selbst? Zacharias zuckt mit den Schultern. Der Wahlsonntag habe ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Platz 7 in Oberbayern galt in der SPD als bombensicherer Platz. Noch dazu, wenn man im Stimmkreis München-Schwabing antritt. Sie fühlt sich unendlich müde. 80 Stunden pro Woche habe sie im letzten halben Jahr für Mandat und Wiederwahl gerackert, sagt die alleinerziehende Mutter. Der kleine Theo sei eingeschult worden. „Ich habe nichts davon mitbekommen, war nur körperlich anwesend.“

Also erst mal durchschnaufen. Zeit für den Kleinen, die beiden Töchter sind bereits erwachsen. Der Vorteil für Politiker: Anders als Arbeitnehmer gibt es für die etliche Monate weiter die Abgeordneten-Diät. Das gibt Zeit zur Orientierung. „Ich würde gerne in München bleiben.“ Ernährungswissenschaft hat sie mal studiert. Ewig her. Vielversprechender sind Kontakte in die Kultur- und Hochschulszene. „Und dann haben wir ja Europawahl.“ Zacharias stutzt. Denkt nach. „Ach, ich habe ja gar kein politisches Amt mehr.“ Sie schaut für einen Moment, als sei sie mit dem Heulen doch noch nicht ganz durch.

Dann gibt sie sich einen Ruck. „Ach was! Aufstehen, schütteln, Nase pudern, Krönchen richten – und dann geht’s weiter.“ MIKE SCHIER

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