GEORG ANASTASIADIS
Die jeweils nächste Wahl zur wichtigsten Wahl aller Zeiten zu erklären, ist so etwas wie der Enkeltrick jedes Wahlkämpfers, der seine Anhänger rumkriegen will. Interessant wird’s, wenn die Matadore das Gegenteil verkünden: Nein, die Hessenwahl sei keine Schicksalswahl (für sie selbst), versicherte diese Woche SPD-Chefin Andrea Nahles. Und nein, man solle nicht jede Landtagswahl zu einer kleinen Bundestagswahl stilisieren, nuschelte fast zur gleichen Zeit die Kanzlerin.
Wenn das heißen soll, dass in Hessen am Sonntag eine Nicht-Schicksalswahl stattfindet – dann handelt es sich in diesem Fall um regierungsamtliche Fake News, um Brandmauern, die eilig hochgezogen werden, um ein Übergreifen der Flammen auf die Bundesregierung zu verhindern. Tatsächlich wird in Hessen übermorgen, allen krampfhaften Dementis zum Trotz, nicht nur über die Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung abgestimmt. Sondern auch über die Berliner GroKo. Und über das Schicksal der Parteichefinnen Merkel und Nahles.
Man kann sich nur schwer vorstellen, dass die SPD-Vorsitzende Nahles ihre Genossen gegen deren Willen in der als Gefängnis empfundenen Großen Koalition halten kann, wenn es die Partei in Hessen so zerlegt wie in Bayern. Ähnlich verhält es sich mit dem Anspruch Merkels, auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember wieder zur Vorsitzenden gewählt zu werden, wenn die Unions-Bastion Hessen fällt. CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier hat am Main den Anti-Seehofer gegeben, tingelte mit der Kanzlerin von Marktplatz zu Marktplatz. Wenn Bouffiers Behauptung stimmt, dass die CSU mit ihrem harten Asylkurs die Bürger in die Arme von AfD und Grünen getrieben hat, müssten die hessischen Wähler Bouffiers demonstrative Nähe zu Merkel eigentlich honorieren. Tun sie das nicht, und sämtliche Umfragen deuten darauf hin, dann muss es andere Gründe geben für den Absturz. Gründe, die womöglich ebenso viel mit Merkel zu tun haben wie mit Seehofer. Und dann brennt ab Sonntagabend auch in der CDU die Hütte.
Georg.Anastasiadis@ovb.net