GEORG ANASTASIADIS
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat Recht: Merkels Migrationspolitik des Jahres 2015 droht für die Volkspartei CDU das zu werden, was Schröders Agenda 2010 für die Volkspartei a. D. SPD ist: das unbewältigte Trauma, das zum immerwährenden Rückgriff auf die Vergangenheit zwingt und den Weg in die Zukunft versperrt. Schon die Hessenwahl wird an diesem Sonntag den neuesten Beleg dafür liefern. Nur die Therapie, die Frau Doktor Kramp-Karrenbauer ihrer Union empfiehlt – nämlich einfach nicht darüber zu reden – ist falsch. Durch Totschweigen lassen sich Traumata nicht besiegen.
Richtig wäre das Gegenteil. Doch die unerträgliche Rechthaberei Merkels und Seehofers lässt das nicht zu, und zwar bis zum heutigen Tag: Die Kanzlerin hat ihre Asyl-Politik längst korrigiert – gibt dies aber nicht zu aus Sorge, dass sonst Seehofer triumphiert. Das befreiende Wort kam ihr nie über die Lippen. Umgekehrt tut Seehofer so, als befinde sich Deutschland noch immer in der Ausnahmesituation von 2015, was es nach aktueller Faktenlage aber nicht ist. Beide biegen sich ihre Wahrheiten zurecht, um ihr Lebenswerk – oder das, was sie dafür halten – zu retten und vor der Geschichte nicht als Verlierer dazustehen. Doch treiben sie so das Volk auseinander.
Man muss die Hoffnung darauf, dass einer der beiden die Umklammerung, in der beide gefangen sind, löst, wohl aufgeben. Der Wähler wird das Problem auf seine Weise lösen – indem er die Kanzlerin, den Innenminister und die Union so lange an der Urne abstraft, in Bayern, in Hessen, überall, bis beide das politische Schlachtfeld verlassen haben.
Georg.Anastasiadis@ovb.net