Nahezu täglich wurden zuletzt immer neue Umfragen zur Landtagswahl in Hessen veröffentlicht. Wie beeinflusst die Demoskopie das Wahlverhalten? Darüber sprachen wir mit Thomas Wind, Geschäftsführer des Instituts für Zielgruppenkommunikation (IZ) in Heidelberg, das auf interne Untersuchungen im Auftrag von Parteien und Verbänden spezialisiert ist. Wind (63) hat Soziologie und Volkswirtschaft studiert.
Herr Wind, an wen ist die Umfrageflut eigentlich adressiert? An die Parteien oder an die Wähler?
An beide. Die Parteistrategen beobachten sehr genau, was da an Zahlen herauskommt. So können sie ihre Wahlkampagnen auch immer wieder nachjustieren. Von den Wählern wissen wir, dass sich nur etwa 20 Prozent wirklich mit den Zahlen beschäftigen. Zumeist sind das ältere Männer mit höherer Bildung und einem ausgeprägten Politik-Interesse.
Das heißt, die Politik ist viel umfragehöriger als der Wähler?
Genau. Eine Diskussion in der Familie oder am Stammtisch kann für den Wähler viel wichtiger sein als eine neue Umfrage. Für die persönliche Meinungsbildung ist sie nur ein Baustein von vielen.
Nach den aktuellen Befunden liegen SPD und Grüne in Hessen praktisch gleichauf. Was können Umfragen hier bewirken?
Für die SPD kann das zu einem Mitleidseffekt führen, aber auch zum glatten Gegenteil. Dass man sich weiter von ihr abwendet, weil man ihr nichts mehr zutraut. Dagegen könnten die Grünen vom „Bandwagon-Effekt“ profitieren. Das bedeutet, dass Wähler auch im Wissen um das gute Bayern-Ergebnis der Grünen bei dieser Partei aufspringen. Übrigens gibt es Langzeitstudien, nach denen allen Unkenrufen zum Trotz immer noch etwa 60 Prozent der Wähler eine Partei- oder Lagerbindung haben.
Die Stammwähler werden aber weniger und die Wechselwähler mehr. Was heißt das für die Demoskopie?
Das erschwert die Umfragen. Früher haben die Leute auch viel bereitwilliger Auskunft über ihre politische Präferenz gegeben als heute. Von denen, die man zu erreichen sucht, beteiligen sich mittlerweile nur noch 15 bis 20 Prozent. Der große Rest verweigert sich. Das macht die Zahlen auch immer unsicherer.
Wie repräsentativ sind sie dann überhaupt noch?
Im Kleingedruckten von Umfragen werden immer Schwankungsbreiten angegeben. Es handelt sich also nie um exakte Daten. Sie sind kein Faktum, sondern mit Fehlern behaftet. Nur wird darüber kaum berichtet.
Auffällig ist, dass Umfrage-Institute mitunter zu sehr unterschiedlichen Resultaten kommen. Wie erklärt sich das?
Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass man ältere Menschen viel leichter über das Festnetz erreicht als jüngere. Also werden die Rohdaten von jedem Institut speziell gewichtet. Das geschieht jedoch völlig intransparent, und so entstehen die Unterschiede. Meinungsforschung ist daher auch keine exakte Wissenschaft, was aber kaum kommuniziert wird.
In anderen Ländern dürfen kurz vor Wahlen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Wäre das auch bei uns sinnvoll?
In Deutschland wird damit argumentiert, Last-Minute-Wählern eine Orientierung geben zu müssen. Ich halte das nicht für schlüssig, denn die letzte Umfrage muss nicht die beste sein. Die Erhebung eine Woche zuvor lag womöglich näher am Endergebnis. Überhaupt sind Umfragen nur Momentaufnahmen. Daher verbietet sich ein Schluss auf das Wahlergebnis. Aber leider wird das immer wieder gemacht.
Interview: Stefan Vetter