Vier Streithähne für den Frieden

von Redaktion

In Istanbul hat ein ungewöhnliches Quartett über die Lage in Syrien beraten. Auch Kanzlerin Merkel war dabei – zum ersten Mal. Zum Schluss gab es eine seltene Geste.

VON JAN KUHLMANN UND MICHAEL FISCHER

Istanbul – Als alles schon fast vorbei ist, bittet der Gastgeber noch mal zu einem Foto. Dann stehen sie da, Hand in Hand, vier Politiker, die sich eher durch Zwist verbunden sind: Kreml-Chef Wladimir Putin, Kanzlerin Angela Merkel, Gastgeber Recep Tayyip Erdogan und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Es soll eine Geste der Geschlossenheit sein – auch wenn das Lächeln schwerfällt.

Mehrere Stunden sitzen die Vier am Samstag in einer prunkvollen Istanbuler Holzvilla zusammen, erstmals in diesem Format, um über die Zukunft Syriens zu beraten. Die Erwartungen im Vorfeld waren gering, am Ende steht immerhin ein gemeinsamer Wille. Bis Jahresende soll der festgefahrene politische Prozess in Syrien wieder angeschoben werden. Ein Verfassungskomitee soll seine Arbeit aufnehmen. Es ist längst beschlossen, existiert aber bisher nur als Papier-Idee.

Sehr zufrieden sei sie, sagt Merkel am Ende, weil „wir dem politischen Prozess ein bestimmtes Momentum, eine bestimmte Beschleunigung geben konnten“. Für sie war das Treffen in Istanbul eine Premiere. Zum ersten Mal war die Kanzlerin bei einem Gipfel zur Lösung des Syrienkonfliktes dabei. Deutschland hat zwar so viele Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen wie kein anderes europäisches Land. Auch bei der humanitären Hilfe nimmt die Bundesrepublik mit jährlichen Milliardenzahlungen einen Spitzenplatz ein. Aber bei der Konfliktlösung spielten Merkel und Co. bisher nur eine Nebenrolle.

Darum kümmerten sich die Länder, die auch militärisch involviert sind: Russland, die Türkei, der Iran, die USA und in geringerem Maße Großbritannien und Frankreich. Dass Merkel nun dabei ist, dürfte damit zu tun haben, dass Deutschland beim Wiederaufbau gebraucht wird. Russland jedenfalls hätte gerne deutsche Hilfe.

In Istanbul spielt das aber noch keine Rolle. Eine politische Konfliktlösung ist noch zu weit entfernt. Immerhin hat sich die militärische Lage in Syrien beruhigt. Die Waffenruhe in der letzten großen Rebellenhochburg um die Stadt Idlib im Nordwesten hält. Die von Russland und der Türkei errichtete entmilitarisierte Zone wirkt bisher.

Das Verfassungskomitee soll unter UN-Ägide arbeiten und mit Vertretern der Regierung, der Opposition und der Zivilgesellschaft besetzt werden. Am Ende sollen freie Wahlen stehen. „Syrien muss ein Land sein, das wieder Heimat für alle Menschen ist“, sagt Merkel. Sie weiß: Nur dann besteht die Chance, dass die syrischen Flüchtlinge zurückkehren.

Auffällig ist in Istanbul, wie sehr Putin seinen Verbündeten Baschar al-Assad in die Pflicht nimmt. Das Verfassungskomitee solle von allen syrischen Parteien als legitim anerkannt werden, erklärt der Kreml-Chef. Dabei hatte Syriens Außenminister Walid al-Muallim erst kürzlich betont, dass für Damaskus eine neue Verfassung eine innere Angelegenheit sei. Das Komitee lehnt die Regierung ab.

Völlig unklar ist außerdem, ob und wie die Kurden in das Komitee eingebunden werden. Sie kontrollieren immerhin fast ein Drittel Syriens und bekämpfen gemeinsam mit US-Truppen die Terrormiliz IS. Ohne sie ist eine politische Lösung kaum denkbar. Angeführt aber werden sie von der YPG-Miliz, die die Türkei als Terrororganisation ansieht. Noch beim Gipfel betont Erdogan, er wolle „Terrorgruppen“ weiter bekämpfen. Einen Tag später lässt er Taten folgen und lässt Stellungen der YPG in der nordsyrischen Provinz Kobane bombardieren.

Ob es weitere Vierer-Gipfel zu Syrien geben wird, ist unklar. Erdogan deutet an, dass beim nächsten Mal weitere Teilnehmer dabei sein könnten. Denn mit dem Iran und den USA fehlten Akteure, die im Syrien-Konflikt eine wichtige Rolle spielen – aber verfeindet sind. Mit Vertretern aus Washington und Teheran wäre ein Foto mit Händchen haltenden Politikern allerdings unmöglich.

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