GEORG ANASTASIADIS
Man hätte der Kanzlerin glücklichere Umstände für den Rückzug von der Macht gewünscht als eine weitere demütigende Niederlage ihrer Partei. Doch bedurfte es offenbar der Katastrophe in Hessen, um Angela Merkel endlich zu der Einsicht zu bringen, auf die die CSU im Falle ihres Chefs Horst Seehofer noch immer sehnsüchtig wartet: dass es mit ihr an der Spitze nicht mehr geht. Merkels Entscheidung, nach 18 Jahren den CDU-Vorsitz zu räumen, ist der vorletzte Dienst, den sie der Partei, dem Land und seiner Demokratie erweisen konnte. Der letzte, der Abschied aus dem Kanzleramt, wird gewiss nicht mehr bis zum regulären Amtszeitende auf sich warten lassen.
Denn für die mantrahaft beschworene „Rückkehr zur Sachpolitik“ in der Groko ist es zu spät. Zu zerrüttet ist das Verhältnis der Koalitionäre, zu feindselig die Ablehnung, die die Kanzlerin in Teilen des bürgerlichen Lagers erfährt, als dass es in der Regierung noch einmal einen wirklichen Neustart geben könnte. Ab sofort richten sich in der Union alle Blicke auf den neu zu wählenden Parteichef, der auch der künftige Kanzlerkandidat sein wird. Merkel versucht mit dem Parteiverzicht ihre Kanzlerschaft zu retten, aber sie geht volles Risiko: Setzen sich nicht ihre Zöglinge Annegret Kramp-Karrenbauer oder Armin Laschet durch, sondern Jens Spahn oder Friedrich Merz, sind ihre Tage im Kanzleramt bald gezählt. Denn beide wollen nichts weniger als den völligen Bruch mit der Ära Merkel.
Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn just Merz, den Merkel vor 16 Jahren entthronte, ihr Erbe anträte. Er steht für die klassischen Werte der Union, vor allem für die zuletzt vernachlässigte Ordnung der Märkte und die Wiederannäherung an die CSU. Und wie sonst nur Spahn elektrisiert er die von Merkel enttäuschten Wähler. Wenn die AfD die „Merkel-muss-weg“-Partei ist, dann sind Merz und Spahn die „AfD-muss-schrumpfen“-Kandidaten. Die Wähler haben gesprochen. Jetzt hat die CDU die Wahl.
Georg.Anastasiadis@ovb.net