Berlin – Kein Blumenstrauß, aber ein paar warme Worte für den vom Gegenwind aus Berlin gebeutelten hessischen Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel. Während zur gleichen Zeit drei Kilometer entfernt im Konrad-Adenauer-Haus Angela Merkel mit dem Verzicht auf den CDU-Vorsitz eine Zeitenwende einleitet, sagt SPD-Chefin Andrea Nahles: „Eine personelle Neuaufstellung steht nicht zur Rede.“
Es ist ihre zweite Landtagswahl als Parteivorsitzende – und bitterer konnte es kaum kommen: alle Ziele verfehlt, zweimal von den Grünen überrundet. In Bayern auf 9,7 Prozent abgestürzt (-10,9) und nun in Hessen, dem einstigen Stammland, auf 19,8 Prozent (-10,9). Konstant ist die SPD derzeit nur mit Blick auf die eigenen Verluste.
Es brodelt mächtig. Juso-Chef Kevin Kühnert flüchtet sich in Sarkasmus. Gut, dass gerade Zeitumstellung war. „Jetzt ist es nicht mehr 5 vor 12, sondern erstmal wieder 5 vor 11“, sagt er. Die interne Wahlanalyse am Montag ist niederschmetternd. Schäfer-Gümbel sagt, es gebe eine „Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise. Für was steht eigentlich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands?“, fragt er. Und dann die Sturmböen aus Berlin – er hatte voll auf das Thema mehr bezahlbarer Wohnraum und Kampf gegen steigende Mieten gesetzt – und die besten Kompetenzwerte bekommen, wie er sagt. Doch gegen den Verdruss über die GroKo in Berlin war er machtlos.
Nahles versucht einen Befreiungsschlag, indem sie der Union nun eine Frist setzt bis Dezember, „um ihre inhaltlichen und personellen Konflikte“ zu lösen. Besonders Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer sieht man als Störenfried. Aber wenn nun Anfang Dezember der konservative Friedrich Merz zum neuen CDU-Chef gewählt würde und damit Merkel ihren Gegner an der Parteispitze hätte, wäre wohl ihre Kanzlerschaft am Ende. Und die SPD kann Merz kaum mittragen.
Somit droht ein heißer Herbst. Nahles legt auch einen Forderungskatalog vor, was alles bis Mitte 2019 verbindlich umgesetzt werden soll – vom Familienstärkungsgesetz, das Kindern aus Familien mit geringen Einkommen helfen soll, und einer Grundrente über dem Hartz-IV-Niveau bis zum „Pflegepersonalstärkungsgesetz“. Doch richtig neue Dinge, echte Knüller, stehen in dem Papier nicht drin.
Die große Frage ist, ob damit etwas grundlegend besser werden und die SPD irgendwie einen internen Aufbruch erzeugen kann. Zumal Union wie SPD zur Profilschärfung mehr klare Kante zeigen wollen.
Daraus könnte noch mehr Streit erwachsen. Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz haben den Parteivorstand noch weitgehend auf ihrer Seite, an der Basis sieht es anders aus. Ein Bündnis um den Bundestagsabgeordneten Marco Bülow, die Nahles bei der Vorsitzendenwahl unterlegene Simone Lange und der frühere Sozialexperte Rudolf Dreßler betont: „Jetzt oder nie. Es ist nach 12 Uhr. Die Talfahrt der SPD wird zum freien Fall. Schluss mit Beschwichtigungen, mit Ruhe bewahren und dem angeblich x-ten Neustart in der großen Koalition.“ Sie fordern den Rücktritt der gesamten SPD-Führungsspitze, einen Sonderparteitag für das Ende der Koalition und die Urwahl eines neuen Vorsitzenden.
Angesichts des Höhenflugs der Grünen, die der SPD mit frischen Köpfen wie Robert Habeck und klarem Kurs gerade bei jungen Wählern den Rang ablaufen, wird auch Nahles’ Kohlekurs („Keine Blutgrätsche gegen die Braunkohle“) kritisch gesehen. Man müsse sich ökologisch endlich klarer positionieren, sagt ein Vorstandsmitglied. Juso-Chef Kühnert und Co. sehen sich in allen Prophezeiungen über den Eintritt in die Koalition bestätigt; das Profil zerfasert, die Lethargie nimmt zu.