Der Ruf nach direkter Demokratie wird in Deutschland lauter und ist auch Thema der Koalitionsverhandlungen in Bayern. Wird die Politik besser, wenn das Volk in Referenden mitbestimmt? Oder gibt das (Rechts-)Populisten Aufwind im Kampf gegen etwa Burka und Minarette? Und: Wird das Parlament entmachtet? Wir fragen Dominique de Buman (62, Christlich-Demokratische Volkspartei), den Präsidenten des Nationalrats der Schweiz.
Wir Deutschen schauen staunend auf direktdemokratische Systeme. Und ein bisschen ängstlich. Kapern Populisten die direkte Demokratie?
Nein. Die direkte Demokratie ist ein riesiger Trumpf gerade in der Bekämpfung des Populismus. In der Schweiz kann die Bevölkerung regelmäßig ihre Meinung äußern, sie kann Entscheidungen der Politik, die sie für falsch hält, korrigieren. Sie gibt Impulse an die Behörden, wenn die ihre Hausaufgaben nicht erledigen. Und die Behörden, ob lokal, kantonal oder eidgenössisch, müssen sich daran anpassen. Der Graben zwischen Verwaltung und Volk ist kleiner. Es baut sich weniger Frust auf.
Unser Bundespräsident, der heuer zu Besuch in der Schweiz war, warnt: Wenn demokratische Institutionen eh schon unter Druck stehen, sollten sie nicht noch Kompetenzen aus der Hand geben. Irrt er?
Das Parlament in der Schweiz ist stark. Bei uns ist der Nationalrat ein sehr aktiver Gesetzgeber mit einem großen Initiativrecht. Diese starke Position des Parlaments in der Schweiz ist ein Gegenpol zu den großen Befugnissen des Volkes. Das erscheint mir sehr ausgewogen.
Zugespitzt gesagt: Ist das Volk in Europa überhaupt klug genug für direkte Demokratie?
Ja. Ohne Zweifel. Für die Schweiz muss ich allerdings hinzufügen: Wir haben eine sehr lange historische Tradition der direkten Demokratie. Unser Volk ist es seit Jahrhunderten gewöhnt, politische Entscheidungen zu treffen.
Wo sehen Sie Risiken?
Wir müssen sehr oft abstimmen. Das kostet Geld, auch für Kampagnen, und kann beim Wähler einen gewissen Ermüdungseffekt auslösen. Und natürlich gibt es Gefahren, das will ich nicht unter den Teppich kehren: Fake news, der wachsende Einfluss sozialer Medien, der Versuch ausländischer Kräfte, Wahlen zu manipulieren. Hinzu kommt: Die Vorlagen werden immer komplexer. Bei uns gilt aber auch: Wenn wir einen falschen Entscheid treffen, wenn die Menschen zu einer neuen Erkenntnis kommen, darf das Volk ein paar Monate später seine Entscheidung korrigieren. Die Menschen sind klug genug, das zu tun.
Rät der Parlamentspräsident, der „höchste Schweizer“, wie man bei Ihnen sagt, den Nachbarn: Hey, probiert es doch auch mal mit mehr direkter Demokratie?
Die Stoßrichtung scheint mir richtig zu sein. Deutschland und andere Nachbarn können sich von unserem System inspirieren lassen. Eine reine Kopie würde, glaube ich, nicht funktionieren. Man muss die Menschen an so ein System gewöhnen. Nach einem sehr großen Hunger auf einen Schlag eine zu üppige Mahlzeit zu essen, ist halt auch nicht gesund für den Magen.
Interview: Christian Deutschländer
Direkte Demokratie
Das Schweizer Generalkonsulat und das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) veranstalten am 5. und 9. November in München zwei Kamingespräche mit Experten zum Thema. Anmeldung für interessierte Zuhörer unter (089) 2180 1345.