Berlin – Soviel öffentliche Aufmerksamkeit dürfte Friedrich Merz in den vergangenen zehn Jahren selten bekommen haben. Minutenlang balgen sich Fotografen und Kameraleute um die besten Perspektiven, es will kein Ende nehmen. Als der Blick auf den Ex-Unionsfraktionschef endlich frei ist, nimmt der 62 Jahre alte Sauerländer noch einen Schluck Wasser. Dann legt er los. Es ist keine Zeit zu verlieren: In gut fünf Wochen will Merz Kanzlerin Angela Merkel als CDU-Vorsitzende ablösen, endlich, nach zehn Jahren Abstinenz von der politischen Bühne in Berlin.
Was in den nächsten 20 Minuten folgt, wirkt ruhig und überlegt, ist knallhart in der Analyse. Ein echter Merz, wie ihn Ältere noch kennen. Man kann es auch als Abrechnung mit der Ära Merkel verstehen.
Selbstbewusst stellt sich Merz vor: „Mein Name ist Friedrich Merz – mit e.“ Nicht mit ä, wie manche heute schrieben. Was er dann in den nächsten Minuten sagt, klingt fast in jedem Punkt wie ein Vorwurf gegen die amtierende CDU-Chefin und Kanzlerin – auch wenn er ihren Namen nicht in den Mund nimmt. „Die CDU braucht jetzt Aufbruch und Erneuerung“, verlangt er. „Die CDU muss sich Klarheit verschaffen über ihren Markenkern.“ Soll heißen: Unter Merkel ist Verwirrung über den CDU-Kern entstanden. Dann kommt er sofort auf die AfD zu sprechen, auch ohne sie zu nennen.
Die CDU dürfe nicht hinnehmen, dass sich am linken und rechten Rand Parteien etabliert hätten, „die unsere Gesellschaft spalten“. Merz gilt vielen in der Partei als jener Kandidat, der am besten enttäuschte Anhänger von den Rechtspopulisten zurückholen könnte. Nötig sei ein klares Profil, er spricht von einer verlässlichen Heimat für alle „Menschen der politischen Mitte“. Ob der Kandidat damit Sorgen zerstreuen will, er könne den inneren Kompass der Partei weg von der Mitte stark nach rechts verschieben? Die Volksparteien hätten „substanzielle Niederlagen erlitten, seien „zutiefst verunsichert und brauchen eine neue Orientierung. Wir müssen genau zuhören, wir müssen verstehen, was die Menschen im Land bewegt – und wir dürfen sie nicht mit Floskeln abspeisen“ – auch das geht Richtung Kanzlerin.
Er streichelt die verletzte Seele der Konservativen in der Partei: Gerade in Zeiten von Migration und Globalisierung müssten „nationale Identität und traditionelle Werte einen festen Platz in unserem Denken und Handeln haben“. Dies spiegele ein Lebensgefühl, nach dem sich viele Menschen sehnten und das zunehmend die Grünen übernommen hätten – und die CDU nicht mehr lebe.
Erst spät in seinem Statement kommt Merz von sich aus direkt auf Merkel zu sprechen, kurz. Es sei ja kein Geheimnis: „Ich bin nicht mit allen Entscheidungen einverstanden gewesen, sie verdient trotzdem Respekt und Anerkennung.“ Zwischen ihnen gebe es nichts zu versöhnen. Sie habe ja selbst gesagt, dass sie die Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt als Wagnis sehe, zitiert Merz und fügt trocken hinzu: „Ich bin bereit, mich auf dieses Wagnis einzulassen.“
Teil des Wagnisses ist allerdings: Merz muss sich wegen seiner Tätigkeiten in der Finanzwirtschaft rechtfertigen. „Er wird den Mitgliedern der CDU erklären müssen, wie er sich in seinen diversen Funktionen in der Finanzwirtschaft für ein gesellschaftlich verantwortliches Handeln seiner Auftraggeber eingesetzt hat – etwa als Aufsichtsrat der Privatbank HSBC Deutschland, die in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt war“, sagt die Anti-Korruptions-Organisation Transparency Deutschland. Merz kontert mit einer allgemeinen Kritik an „vollkommen unmoralischen“ Geschäften. Er sehe für sich aber „keinerlei Konfliktlage“.