Ob in einem Wappen, als Name von Apotheken oder als Marke auf dem Ranzen eines Schulkindes – kein Tag vergeht, an dem wir nicht einem Einhorn begegnen. Das Fabelwesen, dessen Abbild wir schon in Höhlenmalereien finden und das schon vor 3500 Jahren in Babylon verehrt wurde, lebt quicklebendig unter uns.
Durch die Jahrhunderte ist es das Symbol für Unschuld und Reinheit. Im christlichen Mittelalter finden wir es daher abgebildet auf dem Schoß der Jungfrau Maria. Auf einem berühmten Wandteppich aus Flandern um 1500 steht es neben einer jungfräulichen Dame mit Spiegel. Als Wappentier gehört das Einhorn für das keltische Schottland zusammen mit dem englischen Löwen zum britischen Wappen. Einhorn und Löwe stehen dort für die Vereinigung der beiden früher verfeindeten Länder unter der englischen Krone.
Das Einhorn gilt als stark und mutig. Selbstlos dient es immer der gerechten Sache. Mit seinem scharfen Horn kann es den Löwen besiegen. Der Löwe aber lockt das Einhorn in den Wald, wo es eine leichte Beute wird, wenn es das Horn im Übereifer in einen Baum gerannt hat und festsitzt. Dem schneckenartig gedrehten Horn des Einhorns werden von jeher Heilkräfte nachgesagt gegen Krankheiten wie Pest und Aussatz. Auch soll es unempfindlich machen gegen Feuer und Gift. So entstanden die „Einhorn“-Apotheken. Diese verwendeten den Stoßzahn vom Narwal („Einhorn des Meeres“), um die große Nachfrage nach Einhornprodukten zu befriedigen.
Nach der Legende handelt das Einhorn in allem selbstlos, ihm zu begegnen gilt daher als Glück. Dieser Umstand hat dem Fabeltier jetzt ganz aktuell im Internet-Kapitalismus ganz neues Leben eingehaucht. „Unicorns“, zu deutsch „Einhörner“, nennt man dort solche „Start up“-Gründungen, die es bis zu einem Kapitalwert von einer Milliarde Dollar und mehr gebracht haben. Das sind wenige, aber es gibt sie durchaus. Sie haben ihre Gründer und Investoren reich gemacht, uns allen, die wir ihre Technik nutzen, das Leben erleichtert.
Selbstlos handeln diese Einhörner mit den goldenen Hufen sicher nicht, aber es bleibt zu hoffen, dass sie möglichst vielen Menschen Glück bringen. Sie haben schon Gutes bewirkt, nicht zuletzt durch großzügige Spendenbereitschaft der frisch gebackenen Einhorn- Milliardäre. In der Internet Wirtschaft ist somit das jahrtausendealte Fabelwesen Einhorn erstmals in die Realität getreten.
An solche milliarden- schwere Einhörner hat der kaustische Dichter Christian Morgenstern keineswegs gedacht, als er sein Gedicht „Das Einhorn“ in seine Sammlung der „Palmström“- Texte aufnahm: „Das Einhorn lebt von Ort zu Ort nur noch als Wirtshaus fort. Man geht hinein zur Abendstund und sitzt den Stammtisch rund. Wer weiß! Nach Jahr und Tag sind wir auch ganz wie jenes Tier Hotels nur noch, darin man speist – (so völlig wurden wir zu Geist). Im ,Goldenen Menschen‘ sitzt man dann und sagt sein Solo an….“
Schreiben Sie an:
ippen@ovb.net