Die Interpretation von Geschichte ist dem Wandel der Zeit unterzogen, jede Generation stellt neue Fragen an die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.
So ist es mittlerweile sichere Erkenntnis, dass sich aus dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Versailler Friedensschluss weder Hitlers „Machtergreifung“ noch der Zweite Weltkrieg schlüssig ableiten lassen. Damit würde man die Kausalitäten viel zu weit treiben. Auch die damalige Entwicklung war ein offener Prozess – und die Weimarer Republik hätte mit mehr Mut auch gerettet werden können. Zwangsläufig folgte jedenfalls nichts.
Auch lohnt ein Blick über die Grenzen Deutschlands hinweg, auf Österreich-Ungarn, das 1918 unterging: Das Experiment eines Vielvölkerstaats war gescheitert – so lernte man es jahrzehntelang im Geschichtsunterricht. Doch „Kakanien“, wie Spötter die K.-u.-k.-Monarchie nannten, erfährt eine Bedeutungsumkehr: Langsam wird gesehen, welche großartige Leistung es eigentlich war, den „Melting Pot“ ein Jahrhundert lang konfliktarm zusammenzuhalten.
Umgekehrt war es lange gängige Meinung, dass die Gründung des Völkerbunds eine der wenigen positiven Folgen des Ersten Weltkriegs war. In Wahrheit aber war der Völkerbund unfähig, Konflikte zu befrieden. Mehr noch: Er war gewaltantreibend, da er – der Begriff „Völkerbund“ legt das nahe – von der Prämisse ausging, ethnisch homogene Gebiete beförderten den Frieden. Diese aber gab es kaum. Letztlich führte so ein Weg in die brachiale „ethnische Flurbereinigung“, die Hitlers Mordkommandos in Polen und in der Sowjetunion praktizierten.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele der damaligen Irrwege korrigiert worden – Stichwort UN und EU. Ohne Pathos kann man feststellen: Eine Alternative dazu ist nicht erkennbar.