Chemnitz – Über Chemnitz liegt eine gespannte Ruhe. Angela Merkel kommt in die Stadt – und die Erwartungen an den Besuch der Kanzlerin schwanken extrem. In Ostdeutschlands drittgrößter Stadt mit 250 000 Einwohnern wird der Regierungschefin wie bei vorherigen Besuchen in Sachsen wohl wieder Ablehnung und Kritik entgegenschlagen.
„Frau Merkel polarisiert bei vielen Menschen in Sachsen“, sagt Franz Knoppe, Leiter des ausgezeichneten Anti-NSU-Theaterprojekts „Unentdeckte Nachbarn“. So war die Kanzlerin unter anderem in Heidenau, später während des Wahlkampfs und zuletzt in Dresden beschimpft und angefeindet worden.
Wenn die scheidende CDU-Vorsitzende am Freitag für rund fünf Stunden zum zweiten Mal nach 2009 in Chemnitz weilt, sind 82 Tage seit der mutmaßlich durch Asylbewerber verübten tödlichen Messerattacke auf einen Deutschen vergangen. Es sind zwölf Wochen, die die Stadt umgekrempelt und gespalten haben.
Rechte Kräfte haben den Tod des 35-Jährigen für sich vereinnahmt und sind mit ihrer Hetze gegen Ausländer auf erstaunlich offene Ohren gestoßen. Seither gab es fremdenfeindliche Übergriffe, Anschläge auf jüdische, persische und türkische Restaurants, und die Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ wurde aufgedeckt.
Die Gewerbetreibenden in und um Chemnitz haben von den Negativschlagzeilen die Nase voll. „Unsere Unternehmer wünschen sich mehr mediale Aufmerksamkeit für die positiven Dinge in unserer Region“, sagt Hans-Joachim Wunderlich von der IHK Chemnitz.
Vorrangiger Anlass für den Merkel-Besuch ist eine Einladung der Tageszeitung „Freie Presse“ zu einer Diskussion mit ihren Lesern. In der Hartmannfabrik werden 100 Abonnenten zwei Stunden mit der Regierungschefin debattieren. Vorher besucht sie den Basketball-Zweitligisten Niners Chemnitz. Die Polizei rüstet sich mit einem Großaufgebot für alle Eventualitäten. MARTIN KLOTH