Zuspruch und Widerspruch in Chemnitz

von Redaktion

Die Kanzlerin kommt spät, aber sie kommt. Angela Merkel erlebt bei ihrem Besuch in Chemnitz eine ambivalente Stadt.

VON M. KLOTH, C. DRESCHER UND S. BRAUN

Chemnitz – Begeisterte Nachwuchsbasketballer, eine skeptische Oberbürgermeisterin, hetzende Demonstranten: Angela Merkel hat mit ihrer Visite am Freitag in Chemnitz wie schon bei vorherigen Besuchen in Sachsen polarisiert. Drei Monate nach dem gewaltsamen Tod eines jungen Mannes durch eine Messerattacke vermutlich von Asylbewerbern bekam die Regierungschefin von Bürgern der Stadt kritische Fragen gestellt. Bei einer Debatte mit Lesern der Tageszeitung „Freie Presse“ verteidigte sie ihre Flüchtlingspolitik, räumte aber auch Versäumnisse und Fehler ein.

Zwölf Wochen nach der Bluttat, bei der auch zwei weitere Männer zum Teil schwer verletzt worden waren, ist die scheidende CDU-Vorsitzende in eine ambivalente Stadt gekommen. Die tödliche Messerattacke hatte rechte Demonstrationen und fremdenfeindliche Übergriffe in Chemnitz ausgelöst. Die Bilder gingen um die Welt. Merkel resümierte nach der Fragerunde: „Ich habe heute ein Gesamtbild bekommen.“

Bei der Diskussionsrunde wurde sie auch mit der Frage konfrontiert, warum sie nicht eher gekommen sei. Sie habe die Stadt nicht in einer so aufgewühlten Stimmung besuchen wollen, antwortete Merkel, schließlich habe sie ein Gesicht, das auf viele polarisierend wirke. Begleitet wurde ihre Visite von einem riesigen Medienaufgebot.

Zwischen einem leichten Aufgalopp beim Training von Nachwuchsbasketballern und der Bürgerrunde hatte sich die Kanzlerin unter anderem mit dem Gastwirt Uwe Dziuballa vom jüdischen Restaurant Schalom, dem Theaterintendanten Christoph Dittrich und der Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel getroffen. Mit dabei waren Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD).

Während Merkel in der Debatte in der Hartmannfabrik diskutierte und argumentierte, waren von einer Demonstration der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz Parolen wie „Merkel muss weg!“ und „Volksverräter“ auch im Saal zu hören. Dieser Kundgebung hatte sich Pegida Chemnitz/Erzgebirge angeschlossen. Eine so genannte Merkeljugend hatte zudem bei einer Versammlung am Hauptbahnhof mit T-Shirts und Jacken mit der Aufschrift „Geil Merkel“ sowie einem Transparent mit „Heil Merkel“ für ein Eingreifen der Polizei gesorgt.

Abseits der Demonstrationen waren die Meinungen über den Besuch der Regierungschefin in der Stadt gespalten. „Ich finde es ganz gut, dass die her kommt, damit die auch weiß, was hier abgeht mit den ganzen Demonstrationen“, sagte eine Frau in der Innenstadt. Eine andere Passantin hingegen zeigte sich enttäuscht, dass Merkel so spät kam. „Denn der Rechtsruck ist nur die Folge von dem, dass unsere Menschen nicht beachtet werden“, betonte sie.

Vergleichsweise leichtes Spiel hatte die Bundeskanzlerin hingegen zum Auftakt ihres Besuchs. Nach einem Showtraining von Nachwuchsbasketballern des Zweitligisten Niners Chemnitz schwärmten die Talente von einer lockeren Gesprächsrunde in der Sporthalle auf Turnhallenbänken und Sporthockern. Das sei ein tolles Erlebnis für alle Spieler gewesen, sagte der 17-jährige Robert Marmai. In der entspannten Fragerunde seien sowohl Alltagsthemen als auch die Ereignisse von Ende August zur Sprache gekommen.

Nicht ganz so leicht war die Oberbürgermeisterin zu überzeugen. Es lasse sich noch nicht sagen, ob der Besuch mehr als eine Geste und für die Stadt eine Unterstützung sei. „Entscheidend dafür ist, ob die Bundeskanzlerin einen Beitrag dazu leisten kann zu zeigen, dass Chemnitz anders ist als der vielfach transportierte Eindruck der vergangenen Wochen“, sagte Barbara Ludwig. Sie betonte, Chemnitz sei eine sichere, lebenswerte, eine internationale Stadt.

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