Das Meer als dritte Ukraine-Front

von Redaktion

Der Westen ist alarmiert: Der Konflikt zwischen Moskau und Kiew weitet sich aus. Beide Präsidenten – Wladimir Putin wie Petro Poroschenko – haben Gründe, zu zündeln.

VON F. KOHLER, A. STEIN UND A. HAASE

Moskau/Kiew/Brüssel – Im Osten nichts Neues? Der fast vergessene Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist mit Vehemenz zurück – an einer neuen Front auf dem Meer, mit neuer Gewalt und mit möglichen Auswirkungen bis zu Nato und EU in Brüssel. Auf dem Schwarzen Meer vor der Küste der Halbinsel Krim spielten sich am Sonntag Jagdszenen ab. Zwei kleine Patrouillenboote der ukrainischen Marine und ein Schlepper versuchten, durch die Meerenge von Kertsch ins Asowsche Meer einzulaufen.

Doch erst rammte ein Schiff der russischen Küstenwache den Schlepper, später schossen die Russen und brachten die drei Schiffe auf. Zwar haben Russland und die Ukraine einander einmal freie Schifffahrt in dem flachen Asowschen Meer versprochen. Doch seit Moskau die Krim annektiert und durch eine Brücke erschlossen hat, verteidigt es die wichtige Meerenge von Kertsch als sein alleiniges Hoheitsgebiet.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko versicherte sich seiner Drähte nach Westen. Er sprach mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und mit Kanzlerin Angela Merkel. Russland nannte das Verhalten der ukrainischen Schiffe eine Provokation. Es warnte die westlichen Länder davor, sich auf die Seite Kiews zu schlagen. Die USA warfen Russland gestern eine „skandalöse Verletzung“ der ukrainischen Souveränität vor. Die wiederholten „gesetzlosen Handlungen“ machten es unmöglich für US-Präsident Donald Trump, eine normale Beziehung zu Moskau aufzubauen, sagte die UN-Botschafterin der USA, Nikki Haley. Die Nato rief Russland zur Zurückhaltung auf.

Auch Deutschland und sieben weitere europäische Länder haben sich hinter die Ukraine gestellt. Die Gruppe der derzeitigen und künftigen europäischen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – also auch Großbritannien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Schweden, Belgien und Italien – veröffentlichte eine entsprechende Mitteilung.

Motive für eine Zuspitzung haben beide Staatschefs – Poroschenko wie Putin. Die Ukraine hat die Krim 2014 verloren. Russland verleibte sich die Halbinsel ein nach einem international nicht anerkannten Referendum. Aus Moskaus Sicht wurde der historische Fehler korrigiert, dass der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow die Krim 1954 von Russland der Ukraine übertragen hat. Im Osten der Ukraine führt Russland ebenfalls seit 2014 verdeckt Krieg. Mehr als 10 000 Menschen sind im Kohlerevier Donbass bislang getötet worden. Weder Separatisten noch die Ukraine halten sich an die eigentlich geltende Waffenruhe. Eine Friedenslösung, ausgehandelt unter deutscher und französischer Vermittlung, steckt fest.

In den letzten Monaten hat die Ukraine unerwartete Erfolge erzielt – auf ganz anderem Gebiet. Das Oberhaupt der weltweiten Orthodoxie, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der in Istanbul sitzt, will der Ukraine eine eigene, von Russland unabhängige Kirche geben. Für Moskau wäre der Verlust von Millionen Gläubigen in der Ukraine ein schwerer Schlag. Die Eskalation auf dem Schwarzen Meer könnte auch damit zusammenhängen.

Das offensichtlichere Motiv aber hat Poroschenko. In Kiew wurde die Aktion sofort mit der für März erwarteten Präsidentenwahl verbunden. Der Amtsinhaber liegt in Umfragen weit hinter der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Selbst um den Einzug in eine Stichwahl müsste er bangen. Deshalb die Eskalation gegen Russland? Armee und Kirche sind zwei Schwerpunkte in seinem Vorwahlkampf.

Die Ausweitung auf eine dritte Front im Asowschen Meer hat sich abgezeichnet. Für Putin geht es dabei um mehr als Ärger über die ukrainische Kirche. Ein Abriegeln des Meeres würde die Ukraine wirtschaftlich treffen.

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