„Wir müssen umsteuern“

von Redaktion

Weniger Verpackungen, mehr Leitungswasser – Umweltministerin Svenja Schulze will Plastikmüll endlich reduzieren. Viele Umweltschützer reagieren zurückhaltend, aber die Vorschläge stoßen auch auf Lob. Und was sagen die Lebensmittelkonzerne?

VON TERESA DAPP UND MAXIMILIAN HEIM

Berlin/München – Die beiden Ministerinnen sitzen in einem hippen Berliner Café, vor sich zwei Thermo-Becher. Svenja Schulze, die Bundesumweltministerin, setzt auf ein Modell ihres Lieblingsvereins Borussia Dortmund. Und Katharina Barley, neben Justiz auch für Verbraucherschutz zuständig, erklärt: Als halbe Britin könne sie nicht ohne Tee. Nur aus einem Plastikbecher dürfe er halt nicht sein.

Die Szenerie – sie datiert auf Montagnachmittag und ist im Internet live zu verfolgen – mag etwas unbeholfen wirken. Die Botschaft der beiden SPD-Politikerinnen hat es aber in sich. Gemeinsam wollen sie dem Plastikmüll den Kampf ansagen. Auf EU-Ebene, in der deutschen Gesetzgebung, durch freiwillige Vereinbarungen mit dem Handel und nicht zuletzt in jedem einzelnen Haushalt.

Bereits am Vormittag präsentiert Schulze in Berlin ihre Pläne. Die Ministerin erklärt: Vögel und Fische hätten Plastik im Magen, über die Nahrungskette gelange es auch in die Körper der Menschen. Vieles davon sei noch nicht erforscht. „Aber wir wissen bereits genug, um zu erkennen, dass wir umsteuern müssen.“

Zwar stamme der Müll in den Weltmeeren eher nicht aus Deutschland, sondern vor allem aus zehn Flüssen in Afrika und Asien. „Aber wir produzieren in unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft einfach auch zu viel Plastik. Auch wenn wir es gar nicht wollen, exportieren wir diese Konsummuster in Schwellen- und Entwicklungsländer.“ Staaten, aus denen viel Müll in die Meere gelangt, sollen beim Aufbau von Recycling-Systemen in den kommenden zehn Jahren mit 50 Millionen Euro unterstützt werden.

Zur Einordnung ein paar Zahlen: In Deutschland fielen 2016 rund 37,6 Kilogramm Plastikverpackungsabfall pro Kopf an. Das ist mehr als im EU-Durchschnitt. Ganz vorne liegen Irland (57,9 Kilo) und Luxemburg (53,1 Kilo). Am wenigsten Plastikmüll produzierten Österreicher, Franzosen und Spanier mit knapp über 30 Kilogramm pro Kopf.

Was also plant das Umweltministerium? Schulze will, dass in allen Städten an öffentlichen Orten Leitungswasser zur Verfügung steht. „Trinkwasser aus dem Wasserhahn, das ist nahezu überall verfügbar und die Qualität wird flächendeckend von den Wasserwerken überwacht“, sagt sie. Auch das Recycling soll gestärkt und die entsprechenden Quoten für Kunststoffverpackungen deutlich erhöht werden. Dieser Punkt ist bereits Teil des neuen Verpackungsgesetzes, das im Januar in Kraft treten soll.

Auf EU-Ebene will Schulze zudem dafür sorgen, dass Hersteller für ihre Produkte eine bestimmte Lebensdauer garantieren müssen. Kunden könnten sich dann bewusst für Langlebigkeit entscheiden. Anfang 2019 will die Umweltministerin auch mit dem Handel einen neuen Dialog starten, damit unnötige Verpackungen wie Plastik um Gurken oder Bananen aus den Läden verschwinden. In vielen Fällen könnten Verpackungen durch ein aufgeklebtes Etikett ersetzt werden. Vorbild ist die Selbstverpflichtung, Plastiktüten nicht mehr umsonst anzubieten.

Die führenden Lebensmittelkonzerne Rewe Group, Edeka, Lidl und Aldi Süd signalisieren gegenüber unserer Zeitung Zustimmung zu Schulzes Plänen. Sie verweisen auch auf eigene Initiativen wie den völligen Verzicht auf Plastiktüten (Rewe, Penny, toom), extra dünne Verpackungen beim Frischfleisch (Lidl), das baldige Aus für Wattestäbchen mit Plastik (Aldi) oder Laser-Beschriftungen statt Aufklebern (Edeka). Gleichzeitig dürften die Konzerne froh sein, dass Schulze Verbote offenbar vermeiden will – was Umweltschützer (WWF, BUND) am Montag prompt kritisieren.

Zurück im hippen Berliner Café. Verbraucherministerin Barley erklärt zum Abschluss, es gebe „viele Menschen, die für das Thema noch nicht so sensibilisiert sind“. Was Barley höchstens ahnt: Als sie das sagt, hat der Livestream ganze 86 Zuschauer.

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