„Brauchen intelligentes Grenzregime“

von Redaktion

REDAKTIONSBESUCH: Annegret Kramp-Karrenbauer über ihre Pläne mit der CDU

Sonntagvormittag im Pressehaus: Mutterseelenallein, ohne Polizei, Pressesprecher, Aktenträger kommt die Frau zum Interview, die sich gerade anschickt, Deutschlands nächste Kanzlerin zu werden. Annegret Kramp-Karrenbauer will nach dem Ende der CDU-Regionalkonferenzen, fünf Tage vor dem Wahl-Parteitag in Hamburg, eine Botschaft an die Bayern richten.

Willkommen in München. Die letzten Jahren waren geprägt von teils offenen Feindseligkeiten in der Union. Würden Sie mehr Liebe ins Verhältnis zur CSU investieren als Angela Merkel?

In den besten Jahren war es ein Erfolgsmodell, dass CSU und CDU eben nicht deckungsgleich waren. Die CSU hatte in Teilen ein konservativeres Profil. Wir haben uns ergänzt. Das würde ich gerne stärken. Aus der Krisenphase im Sommer sollten wir lernen: Wir tun beide gut daran, uns breiter aufzustellen.

Früher gab’s in der CDU einen Blüm-Flügel und einen Dregger-Flügel, und in der Summe hat die Volkspartei CDU das bürgerliche Lager gut abgebildet. Das hat sich unter Merkel verändert, nicht wahr?

Die Flügel gibt es nach wie vor. Was sich verändert hat: Wir haben nicht mehr so klar erkennbar wie Anfang der 80er für jeden Flügel einen Charakterkopf. Daran müssen wir arbeiten. Das muss man fördern und zulassen. Die begonnene Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms in der CDU bietet dafür gute Chancen.

Sie gelten als die liberalste der drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz. Sehen Sie das selbst auch so?

Ich sage gerne ironisch: Ich bin die klassische CDU-Promenadenmischung. Ich habe bei Gesellschaftspolitik und Lebensschutz ausgesprochen konservative Positionen. Bei Wirtschaft- und Sozialpolitik bin ich von der christlichen Arbeitnehmerschaft geprägt. In der Inneren Sicherheit vertrete ich eine harte Linie. Meine Erfahrung als Innenministerin ist: Die Leute erwarten konsequente Politik ohne schrille Töne.

Die Wahrnehmung ist anders. Viele in Bayern, gerade in der CSU, sagen: Ach nöö, nicht „Merkel 2“.

Ich weiß, das ist ein Etikett, das mir anhängt. Sie haben mich wenigstens nicht Mini-Merkel genannt. (lacht). Jenseits von Etiketten: Ich habe Angela Merkel viel zu verdanken, manches verbindet uns. Wir haben aber in einigen Punkten unterschiedliche Ansichten. Ich stehe für meinen Stil und muss mich nicht künstlich distanzieren.

Sind Sie Merkels Favoritin?

Sie ist klug genug, sich in der Nachfolge-Frage sehr zurückzuhalten. Die Partei interessiert mehr: Wem trauen wir zu, die CDU zu stärken und die Regierung stabil fortzusetzen? Bei mir ist klar: Angela Merkel und ich können vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Zur Migrationspolitik: Sie haben gesagt, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Das erklärt auch Merkel, ihr trauen aber viele Wähler nicht. Wie untermauern Sie Ihr Versprechen?

Die ganz große Frage ist ein funktionierender Außengrenzschutz. Nur dann können wir Binnengrenzen offen halten. Wir brauchen ein intelligentes Grenzregime: Transitzentren, Schleierfahndung, bilaterale Abkommen zur schnellen Rückführung. Ich stehe für den Beweis in der Politik, das umzusetzen.

Ankerzentren…

…haben wir im Saarland schon seit Jahren, das Prinzip der Sachleistung gilt, wir haben längst im Regelfall medizinische Altersfeststellungen bei jungen Flüchtlingen. In 30 Prozent der Fälle stellen wir fest, dass sie mindestens 18 Jahre alt sind. All das machen wir ganz konsequent, ohne es an die große Glocke zu hängen. Übrigens: In unserer Landtagswahl hatte die AfD nur sechs Prozent.

Ihr Versprechen: Als CDU-Vorsitzende machen Sie Migration zur Chefsache?

Ja, absolut. Migration ist nicht mehr das alleinige Thema Nummer eins, aber nach wie vor ein sehr großes. Wir haben viele Einzelmaßnahmen ergriffen. Was wir nie geschafft haben: dazu eine konsistente Erzählung zu liefern. Das werde ich tun.

Aus der CSU hören wir Neues. Seehofer: strikt gegen die Abschiebung Straffälliger nach Syrien. Söder: warnt Merz, Asyl zu hoch zu hängen. Dobrindt: wirbt engagiert für den Migrationspakt. Erkennen Sie die CSU wieder?

(lacht) Ja. Was ich an der CSU immer bewundert habe: Dass sie die Fähigkeit hat, sich über Jahrzehnte als Regierungspartei immer wieder neu zu erfinden. Dass sie immer so klug war, als Volkspartei ein breites Spektrum zu erreichen. Vor der letzten Wahl hat sie in der Öffentlichkeit leider zu starke Ausschläge gezeigt – das hat am Ende des Tages bürgerlich-konservative Wähler irritiert.

Sie befürchten nicht, dass die CSU jetzt wieder Wähler irritiert?

Nein. Die CSU hat da eine klare Linie. Innenminister Joachim Herrmann vertritt ja genau das Modell, das ich geschildert habe: nie schrill, aber immer konsequent.

Wollen Sie AfD-Wähler, die „Merkel muss weg“ skandiert haben, eigentlich für die CDU zurück?

Wer in der AfD am rechtesten Rand steht, Geschichtsklitterung betreibt, antisemitisch ist, war noch nie bei uns – solche Leute will ich in unserer Partei gar nicht haben. Aber es gibt auch diejenigen, die sich getrieben fühlen vom rasanten Wandel um sie herum; die gerne hätten, dass alles so bleibt, wie es ist. Viele verbinden ihren Frust mit einer Person an der Spitze. Um diese Menschen müssen wir uns kümmern und ihnen zeigen, dass wir einen Kompass und einen Plan haben, wie Veränderung positiv gestaltet wird.

Dieser Kompass – heißt der nicht für die CDU, dass sie wieder weiter nach rechts rücken muss?

Ich kann mit rechts/links nicht viel anfangen. Ich komme aus dem klassisch sozialdemokratisch-linken Saarland: hoher Anteil an Arbeitern, starke Gewerkschaften. In diesem Land haben wir als CDU absolute Mehrheiten geholt, aktuell zumindest über 40 Prozent – weil wir große Breite angeboten haben, aber eine Politik des Rechtsstaats garantieren. Das hat im Bund gelitten in den letzten Jahren. Da müssen wir wieder verlässlicher werden.

Sie vertreten ein sehr konservatives Familienbild…

Ich vertrete einen traditionellen Ehebegriff: die Vereinigung von Mann und Frau. Dazu stehe ich, und solche Positionen muss meine Partei aushalten. Dass der Bundestag bei der Homo-Ehe anders entschieden hat, akzeptiere ich. Und werde strikt gegen jede Diskriminierung eintreten.

Sie leben selbst doch eine eher moderne Ehe: Ihr Mann ist bei den drei Kindern zuhause geblieben, Sie machen Karriere.

Wir haben nie diskutiert, ob das modern oder altmodisch ist, sondern pragmatisch entschieden: Wir wollen mehrere Kinder, haben beide eine gute Ausbildung, mein Mann ist Ingenieur. Wer mehr verdient, arbeitet Vollzeit, der andere reduziert.

Wie es aussieht, wird sich der Vorsitz zwischen Ihnen und Merz entscheiden. Können Sie Jens Spahn versprechen: Du bleibst ein starker Repräsentant des konservativen Flügels?

Es wäre fahrlässig, ihn nicht einzubinden. Er kandidiert für das CDU-Präsidium, er führt ein starkes Ministerium, er steht ein Stück weit für die nächste Generation. Die Regionalkonferenzen haben klar gezeigt: Die Partei hat die Erwartung, dass sich keiner nach der Wahl abwendet, nur weil er verloren hat. Das gilt auch für mich: Wo immer die CDU mich braucht, werde ich mitmachen. Ich habe mein Ministerpräsidentenamt aufgegeben, um mich in den Dienst der Partei zu stellen.

Je mehr alle vom Neuanfang reden, desto mehr wirken Merkel und Seehofer wie Auslaufmodelle.

Naja – 18 Jahre an der Spitze der CDU zu stehen, die längste Zeit an der Regierung in einer Zeit größter internationaler Krisen, das führt natürlich dazu, dass die Partei etwas in den Hintergrund getreten ist. Das werde ich wieder ändern. Wenn Sie aber gesehen haben, wie die ganze Welt beim G20-Gipfel auf Angela Merkel gewartet hat, kann man nicht auf die Idee kommen, sie sei ein Auslaufmodell.

Würde Kanzlerin Kramp-Karrenbauer mit kühlen Lächeln Seehofer als Innenminister verabschieden?

Eine neue Regierungschefin würde sich das Kabinett insgesamt genau ansehen, sowohl was Zuschnitte als auch Personen anbelangt.

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