GEORG ANASTASIADIS
In der Politik ist es wie im Leben: Man trifft sich immer zweimal. Es war Merkel, die vor 18 Jahren die Ära Schäuble beendete, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Und es ist Schäuble, der nun der Ära Merkel das Licht ausknipst. Mit seiner scheinbar beiläufigen Bemerkung vor der Hessenwahl, die CDU-Chefin sei „nicht mehr so unangefochten“, hat er eine Monsterwelle erzeugt, die das Reich der Kanzlerin überflutete. Morgen endet Merkels Macht als CDU-Chefin. Und geht es nach Schäuble, wird in wenigen Monaten auch ihre Kanzlerschaft vorbei sein. Nicht anders ist sein Rat zu verstehen, die Wahl von Friedrich Merz zum neuen CDU-Vorsitzenden „wäre das Beste für das Land“.
Merkel, Merz, Schäuble: Die Drei verbindet eine Geschichte, und es ist keine, die man Kindern vorm Zubettgehen gern vorlesen würde. Sie handelt von Verrat, von kaltblütigem politischem Mord, von Rache. Auf dem Hamburger Parteitag haben die drei Alphatiere der CDU ihr Rendezvous a trois, ein Rendezvous mit der Geschichte. Die Kanzlerin kämpft um ihr Vermächtnis, das sie nur bei Annegret Kramp-Karrenbauer in guten Händen sieht. Und Merz und Schäuble? Kämpfen für die Rückabwicklung eines 18 Jahre währenden Betriebsunfalls.
Wer heute 20 ist, weiß kaum noch, dass es auch Zeiten gab, in denen Deutschland nicht von einer Kanzlerin regiert wurde. Und mit der Aussicht auf ihren nahen Abgang wächst auch die Wehmut. Der nostalgische Blick zurück verklärt vieles. Stehende Parteitags-Ovationen für die scheidende Chefin sind Merkel gewiss. Doch was sie wirklich wert sind, ob der tief empfundene Dank ihrem politischen Lebenswerk gilt oder dem (endlich) verkündeten Rückzug, wird die 64-Jährige erst wissen, wenn am Freitag ihr(e) Nachfolger(in) feststeht. Waren die Merkel-Jahre gute Jahre fürs Land – und was bleibt von ihnen?
Das Urteil darüber fällt so gespalten aus wie die Republik, die sie ihrem Nachfolger übergibt. Von Adenauer blieb die Westbindung, von Erhard die soziale Marktwirtschaft, von Brandt die Aussöhnungspolitik, von Kohl die Wiedervereinigung, von Schröder die Agenda. Was bleibt von Angela Merkel, außer ihrem bewundernswerten Fleiß und dem uneitlen Krisenmanagement? Die Verbissenheit, mit der sie sich Korrekturen an ihrer Asylpolitik widersetzte, zeigt, wie ihr Eintrag in den Geschichtsbüchern aussähe, wenn sie ihn selbst schreiben dürfte. Ob die Partei in der historischen Grenzöffnung von 2015 eine humanitäre Großtat erkennt oder die „Mutter aller politischen Probleme“ vom Asyl-Kontrollverlust über den Brexit bis zur AfD, auch dafür dürfte der Parteitag Fingerzeige bereithalten.
Mit Merkel endet ein aufs Moderieren angelegter Führungsstil, dessen Ergebnisse mehr der Tagesopportunität folgten als strategischer Planung oder tiefer Überzeugung. Ob Atomausstieg, Grenzöffnung oder Ehe für alle: Die großen Weichenstellungen seit 2005 kamen fast allesamt als Sturzgeburten daher und wurden im Nachhinein zur „Modernisierung“ verklärt. In der Dieseldebatte, die Merkel laufen ließ, das Risiko einer Gefährdung der deutschen Leitindustrie in Kauf nehmend, zeigte sich besonders krass die Abwesenheit von Führung und Überzeugung. Das muss und das wird sich ändern, egal ob Kramp-Karrenbauer oder Merz ab morgen das Kommando in der CDU führt.
Georg.Anastasiadis@ovb.net