London/Brüssel – Die britische Premierministerin Theresa May hat die Abstimmung über das Brexit-Abkommen im Parlament auf Eis gelegt. Wie es nun mit dem EU-Austritt weitergeht, weiß niemand genau. Aber noch ist auch nicht alles verloren.
Warum hat May verschoben?
Die Premierministerin musste eingestehen, dass es derzeit keine Mehrheit für das Abkommen gibt. Das war zwar schon früh abzusehen, doch May hoffte bis zuletzt. Bei einem knappen Scheitern hätte sie nach weiteren Verhandlungen mit Brüssel dem Parlament ein leicht verändertes Abkommen für eine zweite Abstimmung vorlegen können. Stattdessen bahnte sich eine vernichtende Niederlage an, die May wohl das Amt gekostet hätte.
Was ist für Briten der Knackpunkt?
Besonders ungeliebt ist der sogenannte Backstop. Damit ist die Garantie gemeint, trotz Brexits die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland offen zu halten. Sonst könnte neue Gewalt in der früheren Bürgerkriegsregion drohen. Kontrollen an der neuen EU-Außengrenze scheinen aber mit dem von May geplanten Austritt aus der Zollunion und dem Binnenmarkt unausweichlich.
Der sogenannte Backstop sieht vor, dass Großbritannien als Ganzes in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist. In Nordirland würden Regeln des Binnenmarkts weiter gelten. Kritiker aus Mays Konservativer Partei fürchten, der Backstop könne zum Dauerzustand und das Land so im Orbit der EU gehalten werden. Die nordirische Protestantenpartei DUP, von der Mays Tory-Minderheitsregierung abhängt, lehnt jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab.
Was erhofft sich May von der EU?
May spricht von Zusicherungen, die sie erreichen will. Sie weiß, dass der Backstop Bedingung der EU für das Abkommen ist und nicht verschwinden kann – nicht umsonst wurde darum monatelang gerungen. Möglicherweise hofft sie darauf, Kritiker mit Formulierungen zufriedenzustellen, die deutlich machen, dass der Backstop nur eine Notfalllösung ist und im Idealfall gar nicht zur Anwendung kommt. Das Austrittsabkommen sieht eine Übergangsphase vor, die bis Ende 2022 verlängert werden kann, um eine Alternative zum Backstop zu finden. Bei dieser Entscheidung will May das Parlament einbinden.
Wird die EU Zugeständnisse machen?
Nachverhandlungen im engeren Sinne schließt die EU aus. „Jeder muss wissen, dass der Austrittsvertrag nicht noch einmal aufgemacht wird“, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
Ist ein Brexit ohne Vertrag damit wahrscheinlicher geworden?
Auf den ersten Blick schon. Denn niemand kann voraussagen, wie das Drama endet. Aber: Es bleiben immer noch gut drei Monate, um einen Ausweg zu suchen.
Welche Alternativen bleiben?
Sollte May mit einem nachgebesserten Abkommen im Parlament scheitern, wäre ein Putsch in ihrer Fraktion wohl unausweichlich. Dann könnte sich ein Brexit-Hardliner wie Ex-Außenminister Boris Johnson durchsetzen und versuchen, die EU zu mehr Zugeständnissen zu bewegen. Denkbar wäre auch, dass es zu einem Misstrauensvotum im Parlament kommt und EU-Befürworter das Ruder übernehmen. Als immer wahrscheinlicher gilt inzwischen ein zweites Brexit-Referendum.