Zuwanderungsgesetz auf der Kippe

von Redaktion

Die Wirtschaft hofft auf Fachkräfte, Kritiker fürchten stattdessen neue Anreize für illegale Migranten: Am Zuwanderungsgesetz scheiden sich gerade selbst innerhalb der Union die Geister. Der Zeitplan steht auf der Kippe.

VON SEBASTIAN HORSCH

München – Bis heute Mittag ist noch Zeit, sagt Horst Seehofer. Dann muss der Entwurf für das Fachkräftezuwanderungsgesetz sitzen, wenn er wie geplant am Mittwoch im Kabinett behandelt werden soll. Es dürfte eng werden.

Das Problem: Zwar hat sich Bundesinnenminister Seehofer (CSU) vorab mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf einen Gesetzesentwurf geeinigt – doch viele Kritiker sehen in der derzeitigen Fassung nicht nur einen Antrieb für die deutsche Wirtschaft, sondern auch ein Konjunkturprogramm für Schleuser weltweit. Und diese Stimmen kommen nicht etwa nur von der AfD, sondern auch mitten aus der Unionsfraktion.

Zum Beispiel von Andrea Lindholz, CSU. Wo der Entwurf die Zuwanderung von Fachkräften betreffe, sei er ja „weitestgehend in Ordnung“, sagt die Innenausschussvorsitzende im Bundestag gestern unserer Zeitung. Skeptisch sieht sie hingegen die Passagen zur sogenannten Beschäftigungsduldung. Denn demnach müsse ein geduldeter Migrant lediglich eine 18-monatige Beschäftigung in Deutschland nachweisen, um weitere zwei Jahre bleiben zu dürfen. Und das, „selbst wenn das Arbeitsverhältnis unterbrochen war und die Bezahlung nur knapp über Hartz-IV-Niveau“ liege.

Dass diese Regelung auch für künftige Zuwanderer gelten solle, biete Migrationswilligen weltweit einen Anreiz, nach Deutschland zu kommen – auch ohne Qualifikation und auf unerlaubten Wegen. „Die Regelung untergräbt damit die legale Zuwanderung“, sagt Lindholz. Auch dass die Geduldeten nun doch nicht verpflichtet sein sollen, ihre Identität innerhalb von sechs Monaten nachzuweisen, stört die CSU-Abgeordnete.

Angesichts solch „berechtigter Bedenken“ könne sie nicht nachvollziehen, warum der Entwurf unbedingt noch vor der Weihnachtspause ins Kabinett müsse. „Ich hätte mir mehr Einigkeit gewünscht,“ sagt Lindholz.

Auch führende CDU-Politiker äußern sich zurückhaltend. „Ganz wichtig wird sein, dass wir Flucht, Asyl und Zuwanderung nicht miteinander vermischen“, sagt gestern die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. Und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier betont: „Wir wollen ja keine Zuwanderung in die Sozialsysteme organisieren.“

Auf der anderen Seite macht die Wirtschaft Druck. In einem Brandbrief warnen gleich mehrere große Verbände vor einer Verwässerung der geplanten Zuwanderungs-Erleichterungen für Arbeitskräfte. Der von den beteiligten Ministerien erarbeitete Entwurf biete „gute und tragfähige, auch ausgewogene Lösungen und hat zentrale Forderungen der Wirtschaft aufgenommen“, zitiert der „Spiegel“ aus dem Schreiben. Die vorgeschlagenen Regelungen hätten durchaus das Potenzial, „Missbrauch auszuschließen und den Wirtschaftsstandort zu stärken“.

Auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), hält den umstrittenen Entwurf für eine wichtige Weichenstellung. „Wir gehen bis 2023 von einer Fachkräftelücke von 250 000 und bis 2030 von über 500 000 Personen in Bayern aus“, sagt Brossardt unserer Zeitung. „Angesichts dieses Mangels können die Unternehmen ihr Produktions- und Wachstumspotenzial nicht voll ausschöpfen.“ Fachkräfte aus dem Ausland müssten deshalb gezielt angeworben werden. „Die vbw begrüßt die Pläne der Bundesregierung für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz“, sagt Brossardt.

Für den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) stellt der Entwurf zumindest „eine gute Verhandlungsgrundlage“ dar. Zwar setze der Freistaat bei der Fachkräftesicherung darauf, „zuerst die heimischen Potenziale auszuschöpfen und die Chancen der weiteren Automatisierung zu nutzen“. Doch Zuwanderung sei „für viele Branchen eine weitere wichtige Option“. Deshalb müsse das Gesetz „zügig und abgewogen“ vorangebracht werden, sagt Aiwanger.

Dass das gerade nicht ganz so leicht fällt, kommt für Horst Seehofer nicht überraschend. „Das ist eines der größeren Reformwerke aus den letzten Jahren“, sagt er. Ob nun die Kritiker in der Union rechtzeitig besänftigt werden können, liege nicht nur an ihm, „sondern an der ganzen Führung von CDU und CSU“.

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