Damaskus – Als Donald Trump den Truppenabzug aus Syrien und einen Sieg über den IS verkündete, folgten die Reaktionen in Sekundenschnelle. Von Überraschung bis Schadenfreude kursierte so ziemlich jede Form von Kommentar in den sozialen Medien. „Was denken die Syrer über das Ende des US-Besatzung?“, twitterte die syrischstämmige Bloggerin Partisangirl, eine glühende Anhängerin der Regierung in Damaskus. „Wir sind glücklich, wir sind mehr als glücklich.“
Tatsächlich dürften die Mächtigen in Damaskus, Moskau und Teheran die Entscheidung des US-Präsidenten mit Freude gehört haben, denn die US-Truppen sind gegen ihren Willen im Land stationiert. Auch die IS-Anhänger dürften feiern. Trumps Entscheidung sei ein „Traumszenario“ für den IS, Russland, den Iran und das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, urteilte Charles Lister, Terrorfachmann des Middle East Institutes in Washington.
Die Nachricht aus Washington kommt überraschend, weil sie nicht nur US-Interessen in Syrien zuwiderläuft, sondern auch das Tor für neue Gewalt öffnen dürfte. Ziehen die Amerikaner vollständig ab, wäre der Weg frei für eine türkische Offensive. Ankara will die Kurden angreifen, die im Norden und Osten Syriens große Gebiete kontrollieren. Mehrfach drohte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der Kurdenmiliz YPG, in der er einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK sieht. Es könne jederzeit losgehen, verkündete er am Montag.
Die Kurden brächte ein Abzug in eine schwierige Lage. Bislang gilt die YPG in Syrien als wichtigster und verlässlicher Verbündeter der USA im Kampf gegen den IS. Doch ohne diesen starken Partner an ihrer Seite droht den Kurden ein Mehrfrontenkrieg. Im Osten gehen sie gegen eine der letzten IS-Bastionen vor. Im Norden könnte die Türkei einmarschieren. Und weiter westlich wollen Regierungsanhänger die Kurden-Gebiete wieder einnehmen, weil dort Ölvorkommen liegen.
Bislang ist das Verhältnis zwischen Damaskus und den Kurden angespannt. In den vergangenen Monaten kam es zu einer vorsichtigen Annäherung, auf einer niedrigeren Ebene trafen sich Vertreter zu Gesprächen. Ziehen die US-Truppen ab, könnten sich die Kurden gezwungen sehen, weiter auf Damaskus zuzugehen – aus Mangel an anderen Partnern.
Die YPG-Kämpfer und ihre arabischen Verbündeten dienen den USA auch als Bollwerk gegen Iran-treue Truppen in Syrien, vorneweg die Schiitenmiliz Hisbollah. Sie wollen weiter nach Osten vorstoßen, um die Grenze zum Irak zu kontrollieren. Dann wäre es dem Iran gelungen, einen Landweg von der libanesischen Hauptstadt Beirut bis nach Teheran zu etablieren – was kaum im Sinne Trumps sein dürfte, der den Iran zu einem seiner größten Erzfeinde erklärt hat.
Der IS ist in Syrien zwar massiv geschwächt, aber nicht besiegt. Große Wüstengebiete geben den Dschihadisten genug Raum, um unterzutauchen und sich neu aufzustellen. Das erinnert an El Kaida im Irak. 2006 tötete die US-Armee deren berüchtigten Anführer Abu Musab al-Sarkawi. Das Terrornetzwerk galt einige Jahre später im Irak als entscheidend geschwächt – um 2014 als IS große Teile des Landes zu überrennen.
Auch bei den UN in Genf wurde Trumps Entscheidung mit Kopfschütteln aufgenommen. Dort bemüht sich der Syrien-Vermittler Staffan de Mistura seit Monaten darum, einen Verfassungsausschuss zu bilden, der den Weg für eine politische Lösung des Konflikts ebnen soll. Syriens Regierung wehrt sich dagegen – angesichts vieler militärischer Erfolge ihrer Truppen sieht sie keinen Anlass für Verhandlungen. Die Nachricht aus Washington dürfte die Haltung bekräftigen.