Ein junger, hochtalentierter Mann, eine „Edelfeder“, schreibt jahrelang vielfach preisgekrönte Reportagen für ein großes Nachrichtenmagazin, die jedoch in weiten Teilen der Fantasie ihres Autors entsprungen sind. Dass ausgerechnet der „Spiegel“ auf einen solchen Betrüger hereinfällt, ist eine bittere Pointe, galt das Blatt doch immer als Leuchtturm des Journalismus, dessen Erbauer Rudolf Augstein einst als Leitmotiv ausgab: „Sagen, was ist!“
Der Skandal um Claas Relotius trifft jedoch nicht nur den „Spiegel“, er trifft die gesamte Branche, denn er passiert in einer Zeit, in der Journalisten wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland um ihre Reputation und gegen das Etikett „Lügenpresse“ kämpfen müssen. Ihnen, uns allen, schaden die schwarzen Schafe, die für ihr Ego, für Geld, für eine Ideologie Nachrichten erfinden oder fälschen.
Dass sich jetzt viele Kollegen distanzieren, gar sagen: „Das hätte man doch merken müssen!“, ist wohlfeil. Der „Spiegel“ war nicht das einzige Blatt, das Reportagen wie die von Claas Relotius dankbar veröffentlicht hat, weil sie so schön ins eigene rosarote Weltbild gepasst haben. Doch jeder journalistische Text steht und fällt mit den Fakten, auf denen er basiert. Das eigene (Vor-)Urteil nur bestätigt sehen zu wollen, ist keine gute Voraussetzung für guten, gar preiswürdigen Journalismus. Weiterhin gilt Augsteins Wort: „Sagen, was ist!“
Rudolf.Ogiermann@ovb.net