München/Kabul – „Medal Parade“ im nordafghanischen Feldlager Camp Marmal: Für ihre Verdienste um die Stabilisierung des Landes zeichnet Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angetretene Soldaten aus, zwei junge Offiziere werden feierlich befördert. Die ganze Nacht durch haben Militärhubschrauber geknattert. Die Mission sei auf dem richtigen Weg, sagt die Ministerin in ihrer Rede, aber: „Wir sind noch lange nicht am Ziel.“
Das war vor zehn Tagen, beim Weihnachtsbesuch der CDU-Politikerin bei den 1000 Bundeswehrleuten östlich der Stadt Masar-i-Scharif. Dann kündigte US-Präsident Donald Trump ohne Absprache den Rückzug seiner Soldaten aus Syrien an. Dass von amerikanischer Seite auch ein Abzug von etwa 7000 Soldaten aus Afghanistan – die Hälfte der US-Truppe dort – im Raum steht, stürzt den Einsatz am Hindukusch in Unsicherheit. Denn Afghanistan macht eine kritische Phase durch. Die Taliban sind rasant erstarkt und die Terrormiliz IS verübt Anschläge.
Die Bundeswehr im Camp Marmal ist Teil der Mission „Resolute Support“, mit der die Nato und verbündete Staaten afghanische Sicherheitskräfte ausbilden. Die Zahl ausländischer Soldaten wurde zuletzt auf 16 000 aufgestockt. Politischer und militärischer Druck soll die radikalen Islamisten nach 17 Jahren internationaler Militär-einsätze in direkte Friedensgespräche mit der Regierung in Kabul zwingen.
Die Deutschen im Norden wollen erreichen, dass Regierungskräfte die Initiative wiedererlangen und halten. Diese agierten zu statisch und verletzlich: 60 Prozent der Getöteten sterben an Kontrollpunkten, nur 38 Prozent bei mobilen Einsätzen. Auf der anderen Seite setzen die Aufständischen selbst verstärkt Spezialkräfte ein, die Nachtkampffähigkeiten haben. Nach mehreren schweren Angriffen der Taliban in den vergangenen Wochen tauschte Afghanistan nun den Verteidigungsminister und den Innenminister aus. Die Lage wird mal als „strategisches Patt“, mal als ein „Hin und Her“ beschrieben.
Von der Leyen fordert von den USA Aufklärung über den Kurs. Trumps einsame Entscheidungen hängen wie ein Damoklesschwert über den Friedensbemühungen. Möglich ist, dass diese Bemühungen wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Sollten die USA sich wirklich zurückziehen, wird der Bundestag die deutschen Soldaten wohl mittelfristig zurückbeordern, zeichnet sich parteiübergreifend ab.
„Bei einem vollständigen Abzug der Amerikaner ist aus meiner Sicht ein Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan nicht mehr möglich“, sagt der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn. Über zu viele einsatznotwendige Fähigkeiten verfüge die Bundeswehr selbst nicht – Aufklärung, Schutz, Rettungsketten nennt Hahn als Beispiele. Was bei einem US-Teilabzug geschehen wird, lässt er offen. Auch CDU- und SPD-Politiker schließen ein Ende des Mandats explizit nicht aus. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour stellt klar, in Afghanistan könnte die Bundeswehr ohne die Amerikaner und ihre Hilfe bei Schutz, Aufklärung und Logistik nicht bleiben.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Der Bundestag muss also ihre Auslandseinsätze genehmigen. Die Zustimmung zu einem Einsatz ist auf zwölf Monate begrenzt und muss dann bei Bedarf verlängert werden. Die Verlängerung der Mission in Afghanistan, begonnen vor 16 Jahren, hatte der Bundestag im März beschlossen.
Erfahrene Militärs rechnen mit dem Rückzug. „Wenn die Vereinigten Staaten sich bis auf ein Restkontingent aus Afghanistan zurückziehen, gibt es auch für uns keinen Grund mehr, diesen Einsatz fortzusetzen“, sagte der frühere Generalinspekteur Harald Kujat dem „Tagesspiegel“. Er rechne nicht damit, dass einzelne Nato-Staaten wie etwa Großbritannien ihre Kontingente aufstocken, um den Abzug der US-Soldaten auszugleichen.
Als wahrscheinlich gilt auch, dass der Einsatz in Syrien 2019 endet. Hier stellt die Bundeswehr „Tornado“- Kampfflugzeuge zur Aufklärung sowie die Luftbetankung von Maschinen der internationalen Anti-IS-Koalition. Der Grüne Nouripour sagt knapp: „Für die Tornados macht es keinen Sinn mehr, weiter über Syrien zu fliegen. Denn ihre Aufklärungsfotos sind ja in erster Linie für die Amerikaner bestimmt.“