Deutschland und der Spiegel-Skandal

Vorsatz für 2019: mehr Bescheidenheit

von Redaktion

GEORG ANASTASIADIS

Deutschland ist ein erfolgreiches Land. So erfolgreich, dass es sich entschlossen hat, der ganzen Welt ein Vorbild zu sein: Es rettet das Klima. Es schaltet seine Atommeiler ab. Es gefällt sich im Glauben, die saubersten Autos zu bauen. Es nimmt die meisten Migranten. Und sein „Sturmgeschütz der Demokratie“, das Magazin „Der Spiegel“, hält der Welt die schönsten Moralpredigten. Aber am Ende des Jahres 2018 gilt es zu konstatieren: Die moralische Supermacht hat sich verhoben. Die C02-Ziele: Weit verfehlt, wir verstromen Kohle, weil uns der Atomstrom fehlt. Die Energiewende: Ein Torso – der Strom kommt, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, statt aus sicheren deutschen AKWs jetzt aus dem Störreaktor Temelin, und am Gashahn sitzt Putin. Die sauberen Volkswagen: das Werk von Tricksern. Die Asylpolitik: ein Chaos. Und die wunderbaren Spiegel-Reportagen: zu schön, um wahr zu sein.

Man kann darüber streiten, ob es stimmt, was Medien-Verächter über die Spiegel-Affäre um den Betrüger Claas Relotius sagen: dass der Skandal für den deutschen Journalismus das ist, was der VW-Betrug für Deutschlands Automobil-Industrie war. Dagegen lässt sich einwenden, dass das Hamburger Medienhaus einem Fälscher zum Opfer gefallen ist, während die VW-Bosse in die kriminellen Handlungen eingeweiht waren. Doch das Signal, das in die Welt hinausgeht, ist dasselbe. Es handelt von der Hybris eines besserwisserischen Landes, das der Welt Lektionen erteilen will und sich am Ende blamiert.

Außenminister Maas ruft jetzt nach mehr deutscher Verantwortung in der Welt – doch ohne US-Hilfe kriegt die Bundeswehr nicht mal ihre Soldaten in die Luft. Nach dem Alleingang beim Atomausstieg tragen deutsche Betriebe heute doppelt so hohe Energiekosten wie die US-Konkurrenz und 60 Prozent höhere als die Franzosen. Als die Asylkrise begann, marschierte die Kanzlerin mit ihrer Grenzöffnung abermals voran, doch wieder mochte niemand folgen. Aber das führte hierzulande nicht etwa zu mehr Selbstreflexion. Vielmehr mussten sich andere, auch erfahrene Einwanderungsländer wie die USA und Großbritannien, Berliner Belehrungen anhören; prompt suchten die Insulaner zum eigenen und deutschen Schaden das Weite. Immer an der Spitze der Bewegung marschierte hoch zu Ross der nie von Selbstzweifeln angekränkelte „Spiegel“. Der böse weiße Mann, der tumbe Ami, die Nazis in Chemnitz, die guten Migranten: Claas Relotius hat in seinen erlogenen Reportagen kein Klischee des links-grünen Erziehungsjournalismus ausgelassen. Jetzt ist das Entsetzen groß. Doch dass der Täuscher jahrelang mit seiner Masche durchkam, hatte einen Grund: Er erfand genau die Storys, denen seine Chefs und viele Leser nur zu gern glaubten. Von den Weltverbesserern in den Jurys, die ihn für seine Märchen feierten, ganz zu schweigen.

Und wieder staunt die Welt über Germany. Plumpen Antiamerikanismus werfen Trumps Leute – selbst in Sachen Pressefreiheit alles andere als gut beleumundet – den Leitmedien unseres Landes vor. Im Lügenpresse-Geschrei geht unter, dass viele Journalisten tapfer ihrem Auftrag nachgehen, wahrheitsgemäß über das zu berichten, was ist. Sei es bei den Regionalzeitungen oder auch dem „Spiegel“ selbst, dessen Mitarbeiter Juan Moreno den Betrug im eigenen Haus aufdeckte.

Zum Jahreswechsel denken viele darüber nach, was sie nächstes Jahr besser machen wollen. Der Vorsatz für Merkel-Deutschland lautet: bitte etwas mehr Bescheidenheit.

Georg.Anastasiadis@ovb.net

Artikel 9 von 11