München – Bevor die FDP-Mannschaft um Christian Lindner die Bühne betritt, flackern Videobilder über die Leinwand. Historische Aufnahmen. Sie sind schnell geschnitten und handeln von der Entwicklung des Automobils und von der Mondlandung. Dazu laufen die Sätze von Zweiflern über den Schirm, die das Auto als vorübergehende Erscheinung abgetan haben und das Internet als blanken Hype. Dann die Pointe: „Glauben wir an Chancen“, prangt in dicken Lettern von der Leinwand.
Das Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart ist da nur wenige Minuten alt, und schon steht wieder die Frage im Raum, die Christian Lindner seit 13 Monaten verfolgt. Hat er vielleicht die große Chance der FDP vergeben?
Genau ein Jahr ist es her, als Lindner in Stuttgart auf der selben Bühne stand, um sich zu rechtfertigen. Wenige Wochen zuvor hatte die FDP die Verhandlungen für ein Jamaika-Bündnis mit Union und Grünen beendet – und somit die Chance, von der außerparlamentarischen Opposition direkt in die Regierung vorzurücken. Ein „konstruktives Nein“ nannte er den Rückzug 2018. Ein Signal, das die Glaubwürdigkeit der Liberalen stärken werde.
Lindner tritt auch gestern kämpferisch auf. Schon während seine Vorrednerin Nicola Beer spricht, klatscht er jeden Applaus kraftvoll mit, als wolle er sich aufputschen. Als Beer zum Ende kommt, zieht sich der FDP-Chef die hochgerutschten Hosenbeine lang. Dann tritt er nach vorne auf einen runden Teppich, der auf der Bühne liegt wie ein dicker blauer Punkt. Christian Lindner sieht aus wie sein eigenes Ausrufezeichen.
„Ein herausforderndes Jahr“ sei 2018 gewesen, sagt er. Aber mit den Einzügen in die Landtage in Bayern und Hessen für die FDP auch ein erfolgreiches.
In den politischen Rückblicken, die zwischen den Jahren über alle Kanäle liefen, hat die FDP keine große Rolle gespielt. Nicht nur, weil sie nicht regiert. Auch in der Opposition erhalten andere mehr Aufmerksamkeit. Die AfD ist naturgemäß schriller und die Grünen sind so etwas wie die Partei der Stunde. Noch immer verkörpert Lindner – der heute 40 wird – den Typus des smarten, dynamischen Politikers. Doch auch die Grünen haben in Robert Habeck jetzt so einen an ihrer Spitze. Und obendrein bessere Umfragewerte.
Lindner greift Habeck direkt an. Der habe ja ein Garantieeinkommen vorgeschlagen, finanziert über Steuererhöhungen. Das sei nicht nur ein „Verarmungsprogramm“, das sei auch schlicht ungerecht, sagt Lindner. Wie müsse das wirken „auf den, der für 1800 Euro brutto arbeiten geht“, wenn sich der Nachbar dank Garantiesicherung lieber „der Hegel-Lektüre“ widme? Auch mit Blick auf die Europawahl im Mai zieht Lindner eine klare Grenze zu den Grünen. Die seien neben der FDP zwar die einzige pro-europäische Partei in Deutschland. Doch wo die Liberalen für Vielfalt und Freiheit stünden, wollten die Grünen „ein Europa der Gleichmacherei und der Verwischung von Verantwortung“. Gleichzeitig blockierten sie in der Migrationspolitik die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer. „Wie viele Bälle will man den Rechtspopulisten noch zuspielen?“, fragt Lindner.
Auch die Union bekommt es ab. Es liege an Innenminister Horst Seehofer (CSU), mit den Grünen eine Lösung bei der Frage der sicheren Herkunftsstaaten zu finden. Doch Seehofer habe entweder „nicht den Willen oder nicht das Interesse“ dazu. Und wenn es um Steuerentlastungen gehe, verstecke sich die Union hinter der SPD.
Lindner spricht fast 70 Minuten. Ohne Manuskript streift er durch die kleinen und großen Themen. Er spricht über die „Agenda für die Fleißigen“, die die FDP wolle. Für die Hartz-IV-Empfänger, die am Ende nicht weniger haben dürften, wenn sie arbeiten, als wenn nicht. Für die Rentnerin, der ihre schmalen Bezüge nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden sollten. Er spricht über Energiepolitik, Digitalisierung und die großen europäischen Aufgaben.
Und dann spricht Lindner auch noch über Deutschland, das sich gerade in einer Art Zwischenzeit befinde. „Die Ära Merkel geht zu Ende, jeder weiß das, sie auch.“ Gleichzeitig gelte: „Noch ist sie die Regierungschefin.“
Deutschland brauche nun einen neuen Aufbruch. Die FDP sei bereit, dabei mitzuhelfen. „Wer uns ein faires Angebot zur Erneuerung des Landes macht, kann zu jeder Zeit damit rechnen, dass wir bereit sind, für dieses Land Verantwortung zu übernehmen“, sagt Lindner.
Es sieht aus, als habe das Jahr 2018 aus dem „konstruktiven Nein“ zu Jamaika mindestens ein Vielleicht gemacht.
Von den Grünen grenzt er die FDP ab, von der Union auch