Der Hacker aus dem Kinderzimmer

von Redaktion

Dem 20-jährigen Datendieb aus der hessischen Kleinstadt geht es nicht etwa um Geld. Er besorgt sich Telefonnummern und Dokumente von Politikern, Rappern und anderen Prominenten, um sie zu ärgern. Nun zeigt er Reue.

VON ANNE-BÉATRICE CLASMANN UND PITT VON BEBENBURG

Berlin/Wiesbaden – Am Anfang ist alles noch ein großer Spaß – zumindest aus Sicht des Täters. Zu Hause bei den Eltern in der hessischen Provinz sammelt der Schüler Daten von Künstlern, Politikern und YouTube-Stars, die in seiner Generation fast jeder kennt. Er habe all diese Menschen „bloßstellen“ wollen, sagt der 20-Jährige hinterher bei der Vernehmung.

Als er die ersten erbeuteten Datenpakete Anfang Dezember online stellt, bleibt der große Knall erst einmal aus. Kaum jemand nimmt Notiz davon, dass er über Twitter-Accounts Privates bekannter Persönlichkeiten ins Netz stellt. Erst am 3. Januar bekommt die umfangreiche Datenklau-Aktion plötzlich eine Dynamik.

Einige Abgeordnete haben da zwar schon festgestellt, dass sie plötzlich von Fremden auf Nummern angerufen werden, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Doch richtig aktiv werden die Behörden erst am Donnerstag vergangener Woche um 22.40 Uhr, als Mitarbeiter aus dem Büro von SPD-Chefin Andrea Nahles im Lagezentrum des Bundeskriminalamtes anrufen. In den frühen Morgenstunden werden alle Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern alarmiert. Um 6.50 Uhr wird Bundesinnenminister Horst Seehofer über den Datenklau und die illegale Veröffentlichung informiert.

Wer dahinter steckt, wissen die Behörden noch nicht. Dutzende von Beamten werden zusammengerufen. Am Freitag um 10.30 Uhr teilen die Behörden ihr zu diesem Zeitpunkt noch recht bescheidenes Wissen mit den Parteien. Wilde Spekulationen schießen schnell ins Kraut. Steckt da nicht vielleicht ein ausländischer Nachrichtendienst dahinter?

Der Vorfall hat jetzt auch die Medien erreicht, die breit berichten. Der Provinz-Nerd bekommt langsam kalte Füße. Er löscht Daten – versucht, Beweise zu vernichten.

Bis Sonntagmittag braucht die Polizei, um den Datendieb aus der hessischen Kleinstadt zu enttarnen. Sonntagabend wird die Wohnung der Eltern durchsucht. Die Polizei nimmt den Hacker mit, der nach Angaben von BKA-Präsident Holger Münch zuerst noch etwas wortkarg ist. Das ändert sich über Nacht. Am Montag legt der Schüler aus Homberg (Ohm) ein umfassendes Geständnis ab.

Der Sprecher der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, Georg Ungefuk, sagt, der 20-Jährige habe Reue gezeigt. Er sei bei der Ausspähung und Veröffentlichung der privaten Daten möglicherweise unbedacht oder leichtfertig gewesen. Bei jüngeren Tätern erlebe man oft, dass dann, wenn plötzlich die Polizei vor der Tür stehe, doch „ein großes Nachdenken einsetzt“.

Vorstrafen hat der Hacker zwar nicht. Doch für die Behörden ist er auch kein ganz unbeschriebenes Blatt. Münch sagt, der inzwischen wieder freigelassene Beschuldigte sei bereits vor zwei Jahren als Tatverdächtiger im Zusammenhang mit der „Ausspähung von Daten“ ermittelt worden. Der BKA-Chef zeichnet das Bild eines jungen Mannes, der zwar starke Meinungen hat – die Politiker, deren Daten er veröffentlicht hat, hat er sich danach ausgesucht, ob ihm ihre Äußerungen oder die Positionen ihrer Partei nicht passten. Von einem klaren politischen Motiv gehen die Ermittler bisher aber nicht aus.

„Kinderzimmer-Täter“ seien im Bereich der Cyberkriminalität keine Seltenheit, erklärt Münch. Er erinnert an einen jungen Täter, der von zu Hause aus im großen Stil im Darknet Drogen verkauft hat. Und warnt Eltern: Nicht alle, die viele Stunden einsam vor dem Bildschirm sitzen, wollen nur spielen. Der aktuelle Fall sei von seiner Größenordnung her „durchaus bemerkenswert“, sagt Arne Schönbohm, Leiter des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik.

Ist der mittelhessische Hacker also nicht auch genau ein solch technisch versierter Mitarbeiter, wie ihn die Polizei für ihre Ermittlungen gebrauchen könne? BKA-Abteilungsleiterin Sabine Vogt muss über die Frage schmunzeln: „Wenn er auf der Seite des Gesetzes steht“ und die entsprechenden Fähigkeiten mitbringe, könne die Polizei junge Leute wie ihn durchaus gebrauchen, sagt sie. Und fügt dann doch noch schnell hinzu: „Wobei wir gerne Leute mit einer Ausbildung haben.“

Schon vor zwei Jahren im Visier der Behörden

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