München – Nicht mehr lang, dann kennt Michael Kretschmer (CDU) vermutlich jeden Sachsen persönlich. Seit Monaten bereist der Ministerpräsident den Freistaat und stellt sich im „Sachsengespräch“ den Fragen der Bürger, wenn nötig bis tief in die Nacht. Das Format soll Bürger und Politiker einander näherbringen. Gegen den Verdruss. Und gegen die Flucht zur AfD.
Trotz der zelebrierten Bürgernähe steht die Rechts-Partei bei 25 Prozent, knapp hinter der CDU. Auch in Thüringen und Brandenburg kommt sie auf mehr als 20 Prozent (siehe Grafik). Die jeweiligen Regierungen dürfte das nervös machen, denn in den drei Ost-Ländern wird im Herbst gewählt. Möglich, dass die neue Partei des abtrünnigen André Poggenburg, falls sie antritt, der AfD ein paar ultrarechte Stimmen stiehlt (siehe links). Trotzdem dürfte die „Alternative“ stark abschneiden. Umso schwerer wird es, Koalitionen gegen sie zu bilden:
Sachsen: Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die AfD hier stärkste Kraft vor der CDU, wenn auch nur sehr knapp. Ministerpräsident Stanislaw Tillich schmiss kurz darauf hin, seit Dezember 2017 führt Kretschmer die schwarz-rote Koalition. Eine Fortsetzung ist, Stand jetzt, sehr unwahrscheinlich: Die Union schwächelt gewaltig, Meinungsforscher sagen einen Absturz um zehn Prozentpunkte voraus, die SPD kommt auf nur zehn Prozent. „In Sachsen wird sich, wie in Thüringen, die Frage stellen, ob man überhaupt eine Regierung gegen die AfD bilden kann“, sagt der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland. Eine Koalition mit ihr schließt Kretschmer aus.
Gewählt wird am 1. September, zeitlich ist also noch Luft. Die Union hofft nun, mit dem Politologen Werner Patzelt einen Coup gelandet zu haben. Er, der bei AfD-Wählern ein gewisses Ansehen genießt, soll federführend das CDU-Wahlprogramm schreiben (siehe unten) und möglichst viele „Enttäuschte“ zurückholen. Thematisch wird es im Wahlkampf besonders um innere Sicherheit, Bildung und Soziales gehen.
Bei diesen Themen will auch die AfD punkten. Partei- und Fraktionschef Jörg Urban träumt schon vom Sieg: „Wir haben die Chance, stärkste Kraft in Sachsen zu werden“, sagte er unlängst.
Thüringen: Hier wird es für die Regierungsparteien ähnlich kompliziert. Bodo Ramelow, Deutschlands erster linker Ministerpräsident, regiert mit SPD und Grünen – die Koalition hat aber nur eine hauchdünne Ein-Stimmen-Mehrheit im Parlament. Während die Linke in Umfragen deutlich, die SPD leicht verliert, können die Grünen zulegen. Ob das am 27. Oktober – dem Wahltag – reicht, ist fraglich. Politologe Oppelland räumt Ramelow wenig Chancen auf eine zweite Amtszeit ein.
Die AfD ist derzeit genauso stark wie die Linke – und das, obwohl sie mit dem Rechtsaußen Björn Höcke als Spitzenkandidat antritt. Er nannte das Berliner Holocaust-Mahnmal ein „Denkmal der Schande“ und marschierte vergangenes Jahr beim sogenannten Schweigemarsch mit Rechtsextremen durch Chemnitz. Auch deswegen prüft der Verfassungsschutz, ob er die thüringische AfD künftig beobachten soll.
Dass die Partei trotzdem stark ist, liegt nach Meinung des Bremer Parteienforschers Lothar Probst an der guten Wählerbindung. Die AfD habe sich im Osten „längst eine Stammwählerschaft zugelegt“, sagte er dem „Handelsblatt“. Wie auch in Sachsen will die thüringische AfD jenseits der Migration soziale Themen besetzen. Höcke könnte vor allem mit seinem Rentenplan versuchen, links Stimmen einzusammeln.
Brandenburg: Dietmar wer? Brandenburgs Ministerpräsident Woidke (SPD) gehört zu den unauffälligeren Regierungschefs der Republik, leistet aber dem Vernehmen nach gute Arbeit. Doch auch seine rot-rote Koalition steht auf der Kippe. Die SPD kommt aktuell auf nur 20 Prozent und droht um über zehn Prozentpunkte einzubrechen. Auch die Linke verliert leicht.
Wie in Thüringen zieht die AfD auch in Brandenburg mit einem Rechtsaußen in die Wahl: Landes- und Fraktionschef Andreas Kalbitz. Angesichts stabiler Umfragewerte für die AfD schließt die Union selbst ein Bündnis mit der Linken nicht aus. Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben sagte kürzlich, man werde nach der Wahl „mit jeder ins Parlament gewählten Partei Gespräche führen“,