Berlin – Geahnt hatten die AfD-Oberen nichts. „Ich bin völlig gelassen“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann noch Dienstagfrüh. „Bei uns gibt es nichts, was uns vom Verfassungsschutz anzulasten wäre.“ Eine Stunde später wurde bekannt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt nicht mehr bei einzelnen AfD-Gliederungen prüft, ob es sie unter Beobachtung nehmen soll. Sondern die ganze Partei.
Eine Entscheidung ist das noch nicht. Es bedeutet, wie Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang erklärte, dass öffentliche Reden und Dokumente systematisch ausgewertet werden. Aber es ist ein Signal. Den Rechtspopulisten, die inzwischen in allen Landtagen sitzen und im Bundestag Oppositionsführer sind, haftet damit der Stempel „Rechtsextremismusverdacht“ an. Nach dem Gesetz darf eine Überwachung nur stattfinden bei „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind“. Haldenwang ließ die Dauer der Prüfung offen. Der Verfassungsschutzchef: „Die AfD steht am Scheideweg.“
Bisher hatte man damit gerechnet, dass das Kölner Amt nur einzelne Gliederungen ins Visier nehmen würde. Die Junge Alternative etwa, in der sich etliche Anhänger der identitären Bewegung tummeln. Oder auch den rechten „Flügel“ um den Thüringer Landeschef Björn Höcke. Gegen beide Gruppen wird das Vorgehen nun tatsächlich verschärft, sagte Haldenwang. Sie gelten jetzt als „Verdachtsfall“, was nachrichtendienstliche Methoden erlaubt, um sie zu beobachten. Haldenwang sagte, es gebe aus diesen beiden Gruppen zahlreiche Äußerungen, die die Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes verletzten. Etwa das Wort „Messer-Migranten“.
Die AfD-Führung hatte zuletzt viel getan, um die Beobachtung der Gesamtpartei abzuwenden. Denn, so die Sorge, viele Sympathisanten würden dann abspringen. Eine Kommission wurde eingerichtet, die der Partei empfahl, den Gebrauch bestimmter Begriffe zu vermeiden. Auch wurde die Liste der Unvereinbarkeiten mit rechts- oder linksradikalen Gruppen erweitert. Der Jungen Alternative drohte der Vorstand damit, ihr den Status als Parteijugend zu entziehen. Von Höckes „Flügel“ distanzierte sich die Führung aber nicht.
Welche Konflikte es um diesen Kurs gab, zeigte zuletzt der Austritt des sachsen-anhaltinischen Ex-Landeschefs André Poggenburg, der eine eigene Bewegung gründete, mit stark rechtsnationalistischem Charakter. Auch das Ausschlussverfahren gegen die ehemalige schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein ist umstritten. Wie Poggenburg gehört sie Höckes „Flügel“ an. Vor einem Jahr wäre Sayn-Wittgenstein um ein Haar zur Bundessprecherin gewählt worden. Höcke ist Spitzenkandidat bei der Wahl in Thüringen.
Die Ankündigung des Verfassungsschutzes wurde von der AfD heftig kritisiert. Fraktionschef Alexander Gauland kündigte juristische Schritte an. „Zum Glück haben wir noch einen Rechtsstaat.“ Seine Kollegin Alice Weidel brachte die Entscheidung in Zusammenhang mit der Ablösung von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen im letzten Jahr. „Mit ihm wäre das nicht möglich gewesen.“ Im Unterschied zu Gauland fand sie, dass die Fortsetzung der Überprüfung eigentlich „gar nichts“ bedeute.
Während SPD, FDP und Grüne die Ankündigung begrüßten, zeigte sich André Hahn (Linke) skeptisch. Wohl auch aus der Erfahrung, die seine Partei machen musste. Sie war bis 2014 ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet worden, Abgeordnete inklusive. WERNER KOHLHOFF