Der Coup von Caracas

von Redaktion

Ein junger Abgeordneter greift beherzt nach der Macht und will die Herrschaft der Sozialisten in Venezuela beenden. Er setzt auf den Druck der Straße und die Unterstützung der USA.

VON DENIS DÜTTMANN UND CHRISTIANE JACKE

Caracas – Venezuela steht vor einer Zerreißprobe: Der junge Parlamentschef Juan Guaidó hat sich selbst zum Präsidenten des südamerikanischen Krisenstaates erklärt und dem Amtsinhaber Nicolás Maduro damit in aller Öffentlichkeit den Fehdehandschuh hingeworfen. Wer aus dieser Machtprobe als Sieger hervorgeht, muss sich in den kommenden Tagen und Wochen zeigen. Angesichts von Elend und Unterdrückung sind zwar viele Venezolaner unzufrieden mit Maduro, der nach dem Tod von Hugo Chávez 2013 auf den langjährigen Staatsführer gefolgt war. Doch das Militär sicherte Maduro am Mittwoch zunächst seine Loyalität zu.

Allerdings gibt es auch immer wieder kleinere Aufstände. Erst am Montag hatte eine Gruppe von Nationalgardisten Maduro die Gefolgschaft verweigert, sich in einem Militärdepot mit Waffen ausgerüstet und mehrere Wächter als Geiseln genommen. Die Revolte wurde niedergeschlagen, zeigte aber, dass in den unteren Rängen viel Unzufriedenheit herrscht. Zumindest die Generäle profitieren jedoch bislang noch vom System Maduro.

Auch die „Colectivos“ – bewaffnete Motorradgangs im Dienste der Regierung – dürften wenig Interesse an einem Machtwechsel in Caracas haben. Die Gruppen beherrschen ganze Stadtviertel, kontrollieren die Verteilung subventionierter Lebensmittel und gehen unbehelligt von der Polizei ihren illegalen Geschäften nach. Im Gegenzug prügeln sie bei Protesten gegen die Regierung auf Demonstranten ein.

Ob Guaidó den Machtwechsel wirklich erzwingen kann, dürfte auch davon abhängen, ob es ihm gelingt, den Druck der Straße aufrechtzuerhalten. Die Massenproteste am Mittwoch waren die größten seit eineinhalb Jahren.

Es sieht alles danach aus, dass der junge Abgeordnete sein Vorgehen eng mit den Vereinigten Staaten abgestimmt hat. Nur Minuten, nachdem er sich am Mittwoch öffentlich zum Übergangspräsidenten erklärte, erkannte ihn US-Präsident Donald Trump an.

Dieser Schritt zeichnete sich schon länger ab. In den vergangenen Monaten hatte Trump Maduro mehrfach gedroht. Die US-Regierung erhöhte schrittweise den Druck, verhängte Sanktionen gegen regierungstreue Funktionäre und Unternehmer, äußerte mehrfach Unterstützung für Guaidó und verschärfte gerade in den vergangenen Tagen die Wortwahl gegenüber Maduro – bis hin zur Aussage von US-Vizepräsident Mike Pence am Dienstag: „Nicolás Maduro muss weg.“

Nach der Aufkündigung der diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten hat Maduro nun den US-Diplomaten bis zum Sonntag Zeit gegeben, das südamerikanische Land zu verlassen. US-Außenminister Mike Pompeo konterte, die Anweisungen des Sozialisten seien gegenstandslos, da die USA dessen Regierung nicht mehr anerkennten. „Was denken sie, wer sie sind?“, fragte Maduro aufgebracht in einer Rede vor dem Obersten Gerichtshof. „Denken sie, sie hätten eine koloniale Enklave in Venezuela?“ Guaidó muss nun aufpassen, dass er nicht als Strohmann der verhassten Yankees wahrgenommen wird.

Die Amerikaner drohen nun mit schmerzhaften Wirtschaftssanktionen, falls Maduro nicht abtreten sollte. Sie schließen auch eine militärische Option nicht aus. Während in der venezolanischen Exil-Opposition durchaus so mancher mit einer ausländischen Intervention liebäugelt, sind die meisten Venezolaner strikt gegen eine militärische Lösung. Trumps Administration hat zugleich durchblicken lassen, dass es auch eine Exit-Lösung für Maduro geben könnte, wenn dieser den Weg für eine friedliche Machtübergabe frei machen würde. Bei einem Rückzug könnten alle Seiten ihr Gesicht wahren und ein Blutvergießen verhindert werden. Bundesaußenminister Heiko Maas hat sich klar auf die Seite Guaidós gestellt. „Wir sind nicht neutral in dieser Frage, sondern wir unterstützen das, was Guaidó dort tut“, sagte der SPD-Politiker in New York.

Bei den jüngsten Massenprotesten sind nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten bisher mindestens 26 Menschen ums Leben gekommen.

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