Der Ruin des Karibik-Sozialismus

von Redaktion

Venezuela hat die größten Reserven der Welt – aber das Öl ist Segen und Fluch zugleich. Auch deutsche Unternehmen stehen vor der Frage: Besser bleiben, um dabei zu sein, wenn die Wende kommt?

VON GEORG ISMAR

Caracas/Berlin – Venezuela war lange ziemlich flüssig. Und da die USA das meiste Erdöl abnahmen, setzte Präsident Nicolás Maduro auch auf Donald Trump. Der texanische Ölkonzern Citgo, der dem venezolanischen Staatskonzern PDVSA gehört, spendete satte 500 000 Dollar für dessen Vereidigungsfeier zum US-Präsidenten. Wie sich die Zeiten ändern: Bald könnte Trump den Hahn zudrehen – und Maduros Sturz erzwingen.

Ein Ölboykott könnte Maduro und der Staatswirtschaft den Todesstoß versetzen, würde aber auch den Weltmarktpreis erhöhen. So könnte sich das Elend der Bürger verschärfen, womöglich drohte sogar ein Bürgerkrieg. Daher versuchte es Washington bisher mit dem Einfrieren ausländischer Konten führender Sozialisten.

Das einst reichste Land Südamerikas ist ruiniert, obwohl es die größten Ölreserven der Welt hat. Wer den Niedergang begutachten will, bekommt schon am Flughafen Simón Bolívar bei Caracas einen Eindruck. Leere Geschäfte, stillstehende Gepäckbänder, wenig Licht. Kaum eine Airline fliegt noch ins Land, die Lufthansa stellte den Betrieb 2016 nach 45 Jahren ein.

Von den rund 15 Dax-Konzernen, die hier mal vertreten waren, ist kaum noch einer aktiv. Eine Ausnahme: Siemens. Wer bleibt, hat noch einen Fuß in der Tür, wenn es zum Machtwechsel und der Rückkehr zur Marktwirtschaft kommen sollte.

Nach Venezuela gingen zuletzt nur knapp 0,1 Prozent der deutschen Gesamtausfuhren. Laut Weltbank sind die Geschäftsbedingungen für Unternehmen in kaum einem Land so schlecht. In einem Index belegte Venezuela 2018 Platz 188 von 190 Ländern. Nur Eritrea und Somalia lagen dahinter.

Die Korruption blüht, und das Öl wurde zu Fluch und Segen zugleich. Lange Zeit verschaffte der hohe Ölpreis Venezuela den Spielraum, um Millionen Menschen ein würdiges Leben zu garantieren. Doch statt in den Boom-Jahren die Abhängigkeit zu verringern – 95 Prozent der Einnahmen stammen aus dem Ölexport –, wurde weiter fast alles aus dem Ausland importiert, von Toilettenpapier bis zu Lebensmitteln.

Als dann der Ölpreis einbrach und die Inflation die höchste der Welt wurde, verschärfte sich die Krise dramatisch. Ohne die großen Unterstützer China, Türkei, Iran und Russland wäre Maduro wohl längst am Ende. Allein China soll bis zu 60 Milliarden US-Dollar an Krediten gegeben haben, die in Öl zurückgezahlt werden. In den ersten elf Monaten 2018 importierte China laut der Finanzagentur Bloomberg 340 000 Barrel Öl pro Tag, 3,7 Prozent seiner gesamten Einfuhren.

Die Fördermengen sind dramatisch eingebrochen, auch weil Geld fehlt, um die Industrie zu erneuern. Mehr als zehn Prozent der US-Ölimporte kamen zeitweise aus dem Land des Klassenfeindes – dafür schnell Ersatz zu finden, ist nicht einfach. Die Statistiken des US-Energieministeriums zeigen, wie die Menge eingebrochen ist: von zeitweise 1,8 Millionen Barrel am Tag im Jahr 2000 auf zuletzt 589 000 Barrel am Tag.

Inzwischen fehlen selbst die Mittel, um genug Lebensmittel einzuführen. Kinder sterben täglich mangels Medizin in Krankenhäusern. Bis zu drei Millionen Menschen sind vor dem Elend geflohen. Wer geblieben ist, steht in Schlangen vor Supermärkten. Die Oberschicht bestellt indes per WhatsApp Überteuertes vom Schwarzmarkt in die Tiefgaragen ihrer Luxusapartments. „Ein Kilo Käse kostet 18 Tage Mindestlohn, ein Kilo Fleisch fast einen Monatslohn“, schreibt der frühere Planungsminister Ricardo Hausmann in einer Analyse.

Maduro hat nach örtlichen Berichten fast alle Goldreserven verscherbelt, aber dank des Öls gibt es immer noch Devisen, um den Machterhalt zu sichern. Und es wurden Abhängigkeiten geschaffen. Um günstige Lebensmittelpakete (Öl, Reis, Thunfisch, Milchpulver und Mehl) zu bekommen, muss man einen „Vaterlandsausweis“ beantragen und erklären, die Regierung zu unterstützen.

Die Venezolaner sind in dieser Lage zu Lebenskünstlern geworden, in der Hoffnung auf einen Wandel. In Mérida etwa schaffte es die Heladería Coromoto einst mit bis zu 870 verschiedenen Eissorten in das Guinness-Buch der Rekorde. Doch weil keine Zutaten mehr zu bekommen sind, steht an der berühmten Eisdiele immer öfter: „Leider geschlossen“.

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