London – Streit ohne Ende zwischen London und Brüssel: Nur zwei Monate vor dem Brexit will Premierministerin Theresa May das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen wieder aufschnüren. Die unter enormen Druck stehende Regierungschefin warb am Dienstag im Londoner Parlament für ein Mandat der Abgeordneten, die schwierige Nordirland-Frage nachzuverhandeln. Das Parlament stimmte mit knapper Mehrheit dafür, die Garantie einer offenen Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland im Brexit-Deal neu zu verhandeln. May reagierte erleichtert
Die Europäische Union lehnt die Änderung des Brexit-Vertrags nach wie vor ab. Dies teilte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend in Brüssel mit. Diese Linie sei mit den Hauptstädten der 27 bleibenden EU-Staaten abgestimmt.
Bei Abstimmungen über mehrere Änderungsanträge, wie es mit dem Brexit weitergehen soll, kam May gestern Abend mit einem blauen Auge davon. Ein hoch gehandelter Vorschlag der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper, bei dem es um eine Verschiebung des EU-Austritts ging, wurde zu Mays Gunsten abgelehnt. Cooper wollte mehr Zeit für eine Einigung gewinnen. Ein vom Unterhaus angenommener Antrag, dass es keinen Brexit ohne Abkommen geben soll, hat rechtlich keine Bedeutung. May rief den Abgeordneten zu: „Die Welt weiß, was dieses Haus nicht will. Heute müssen wir eine nachdrückliche Botschaft dazu senden, was wir wollen … Ich will mit dem klarestmöglichen Mandat nach Brüssel zurückkehren.“
Nach der Ablehnung des Brexit-Deals bei der Abstimmung Mitte Januar müssten nun die Bedenken der Abgeordneten zum Nordirland-Backstop berücksichtigt werden, sagte May. Dazu sei „eine bedeutungsvolle und rechtlich bindende Veränderung am Austrittsabkommen“ notwendig. May will den Abgeordneten schnellstmöglich einen geänderten Austrittsvertrag zur Abstimmung vorlegen. Sollte sie keinen Erfolg bei Nachverhandlungen mit der Europäischen Union zum Brexit haben, werde sie spätestens am 13. Februar vor dem Unterhaus eine Erklärung abgeben. Für den Tag darauf – also am 14. Februar – plane May eine Abstimmung zu ihrer Erklärung, hieß es.
Die Premierministerin sagte, es gebe im Parlament keine Mehrheit für eine Neuwahl oder eine zweite Volksabstimmung über den EU-Austritt des Landes. Zur deutlichen Niederlage im Parlament für das Austrittsabkommen, das sie mit der Europäischen Union ausgehandelt hatte, sagte May, sie habe diese Botschaft verstanden.
Hoffnung, dass sich doch noch eine Mehrheit im heillos zerstrittenen Unterhaus findet, machten Berichte über einen „Plan C“ für den EU-Austritt, den konservative Abgeordnete aus beiden Lagern in den vergangenen Tagen ausgearbeitet hatten. Der „Malthouse-Plan“ greift die Idee wieder auf, dass notwendige Grenzkontrollen an der nordirisch-irischen Grenze mit technologischen Mitteln durchgeführt werden sollen. Wie diese aussehen, konnte noch niemand erklären. Für den Fall eines „No Deal“ sieht der Plan vor, dass sich Großbritannien mit Beitragszahlungen an die EU eine Übergangsfrist erkauft.
Die EU besteht auf der Backstop-Klausel, weil eine Teilung der irischen Insel ein Wiederaufflammen der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion provozieren könnte. Doch ein großer Teil der Abgeordneten in Mays Konservativer Partei und die nordirisch-protestantische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, lehnen die Regelung ab.
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist, zudem sollen in Nordirland weiter einige Binnenmarktregeln gelten. Kritiker fürchten, die Klausel könne Großbritannien dauerhaft an die EU binden.