Brüssel – Bundeskanzlerin Angela Merkel tat am Freitag so, als hätte es nicht besser laufen können. „Diesen Tag finde ich gut, und er wäre ohne die deutsch-französische Zusammenarbeit so nicht erfolgt“, kommentierte sie in Berlin zu der kurz zuvor erfolgten EU-Einigung im Streit über den Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland.
Mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron habe sie natürlich „eine tägliche Zusammenarbeit“. Auch wenn Macron nun nicht zur Münchner Sicherheitskonferenz komme, werde es „viele Zusammentreffen geben, an denen sie sich überzeugen können, dass der Geist des Aachener Vertrages lebt“. Ähnliche Worte kamen aus Paris. „Eine deutsch-französische Krise gibt es nicht“, hieß es aus dem Élysée-Palast. Also alles gut? Vergessen, dass Frankreich Deutschland beim Streit um die Gaspipeline zuvor in den Rücken gefallen war und damit Verhandlungen erzwungen hatte?
Tatsächlich hat es die Bundesregierung nur in letzter Minute geschafft, ein riesengroßes Debakel abzuwenden. Der EU-Kompromiss sieht so nämlich zwar vor, über Änderungen an der EU-Gasrichtlinie strengere Auflagen für Nord Stream 2 zu erlassen. Zugleich soll aber sichergestellt werden, dass das von Deutschland unterstützte Milliarden-Projekt dadurch nicht in seiner Existenz bedroht wird. Auch dann nicht, wenn der Betreiber der Pipeline und der Gaslieferant künftig getrennt sein müssen. Nord Stream 2 wird vom russischen Staatsmonopolisten Gazprom gesteuert.
Die Bundesregierung handelte dafür aus, dass deutsche Behörden für die Regulierung des Pipelineprojekts zuständig bleiben können. Die EU-Kommission und andere Mitgliedstaaten wären außen vor. Für die zahlreichen Gegner der Pipeline, zu denen neben vielen Staaten auch die EU-Kommission gehört, ist das ein herber Rückschlag. Sie hatten gehofft, das Projekt über die Überarbeitung der Richtlinie stoppen zu können. Es spiele nur Kremlchef Putin in die Hände, weil es die energiepolitische Abhängigkeit Europas von Russland unnötig erhöhe, lautet die Kritik. Zudem schade es der Ukraine. Durch Mehrkapazitäten könnte diese als wichtigstes Transitland für russisches Erdgas komplett umgangen werden.
Der krisengeschüttelten Ukraine droht damit der Verlust von Einnahmen. Und: Bislang konnte Kiew Moskau drohen, die Gaslieferungen in die EU zu unterbrechen. Künftig könnte nur Moskau Kiew noch leichter mit einem Gaslieferstopp erpressen.
Schwer nachvollziehbar ist es deswegen für viele EU-Staaten, dass Merkel auf der einen Seite immer wieder auf eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland pocht – andererseits aber offensichtlich keine Probleme mit einem Energieprojekt hat, das Russlands Position stärkt.
Die Befürworter des milliardenschweren Vorhabens argumentieren anders. Nord Stream 2 sei ein nicht gegen Sanktionen verstoßendes Wirtschaftsprojekt, man werde garantieren, dass die Ukraine weiter Transitland für russisches Gas bleibe. Zudem wird hinter vorgehaltener Hand gesagt, dass die instabile politische Situation in der Ukraine eine Gefahr für die Energiesicherheit Westeuropas darstelle. Demnach sorgen zusätzliche Rohre durch die Ostsee für mehr Versorgungssicherheit.
Zudem wird immer wieder darauf verwiesen, dass es wohl nicht allen Gegnern um das Wohl der Ukraine gehe. Demnach müssen neben der Ukraine auch Länder wie Polen und die Slowakei mit Einbußen bei Transitgebühren rechnen. Ebenfalls mit wirtschaftlichen Erwägungen wird ein Teil des erbitterten Widerstands der USA gegen das Projekt erklärt. Die Vereinigten Staaten würden künftig nämlich gerne deutlich mehr Flüssiggas nach Europa verkaufen. Günstige Energie aus Russland ist da unangenehme Konkurrenz.