„Die SPD schwenkt nach halblinks“

von Redaktion

Politikforscher Neugebauer: Der neue Kurs könnte die Linkspartei in Bedrängnis bringen

Berlin – Bürgergeld statt Hartz IV, mehr Rente für Geringverdiener und ein Recht auf Heimarbeit. Mit solchen Ideen will die SPD wieder in die politische Offensive kommen. Im Interview erklärt der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer, wie wählertauglich dieses neue Sozialstaatskonzept ist.

Herr Neugebauer, hat die SPD ihr Hartz-IV-Trauma jetzt bewältigt?

Nein, aber das Sozialstaatskonzept kann ein erster Schritt dazu sein. Viel wird davon abhängen, ob die Partei stark genug ist, zumindest Teile davon zu realisieren, beziehungsweise, inwieweit die Union bereit ist, hier mitzuziehen. Letzteres halte ich allerdings für unwahrscheinlich. Denn das ganze Hartz-Regelwerk ist seinerzeit unter aktiver Mitwirkung der Union im Bundesrat beschlossen und dort auch verschärft worden.

Wie glaubwürdig wirkt der Kursschwenk?

Die Glaubwürdigkeit entscheidet sich erst am Wahltag. Vor dem Hintergrund der drei anstehenden Landtagswahlen im Osten bin ich allerdings skeptisch, denn viele Menschen dort kommen nicht auf die Mindestversicherungszeit für die SPD-Grundrente. Und wer Hartz IV bezieht, hat sich nach einschlägigen Untersuchungen häufig schon von Wahlen verabschiedet – in dem Glauben, dass sich damit ohnehin nichts ändert. Trotzdem sind alternative Konzepte für die SPD geradezu überlebensnotwendig geworden. Sie krankt doch daran, dass keiner mehr so recht weiß, wofür sie überhaupt noch steht. Das ändert sich nun etwas. Gleichwohl gibt es einen großen Schwachpunkt.

Und welchen?

Die SPD bleibt sehr vage, wie das finanziert werden soll.

Parteigeneralsekretär Lars Klingbeil hat eine Anhebung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Vermögensteuer angeregt…

Wenn die SPD nicht konkret klarmacht, wen das betrifft, oder besser, wen nicht, dann kann der Schuss schnell nach hinten losgehen. Für die Finanzierung des Sozialstaats der Zukunft stellen sich auch noch ganz andere Fragen. Zum Beispiel, ob eine Maschinensteuer eingeführt werden muss. Ob Unternehmen überhaupt stärker besteuert werden müssen, die ihre Gewinne fast ohne Menschenhand erzielen, sondern mit Robotern oder Daten. Hier ist die SPD noch zu zaghaft, aber sie hat wenigstens die Tür für eine solche Debatte aufgestoßen.

Muss sich die Linkspartei jetzt warm anziehen?

Ja, das denke ich schon. Die SPD macht einen Schwenk nach halblinks und ist zur sozialen Frage zurückgekehrt, die sie groß gemacht hat. Das kann zu Identitätsproblemen bei der Linkspartei führen. Allerdings könnte es auch ihr Geschäft erleichtern, nämlich dann, wenn die SPD mit ihrem Kurs auch eine neue Machtperspektive verbindet, für die es die Linkspartei braucht. Dazu müssten allerdings jene Kräfte in der Linken umdenken, die Koalitionen mit der SPD generell ablehnen. Oder sie müssten die Linkspartei verlassen.

Könnte es zwischen beiden Parteien jetzt nicht auch zu einem linkspopulistischen Überbietungswettbewerb kommen?

Mag sein, dass manche Genossen in beiden Parteien darin ihr Heil sehen. Wenn es aber um gesellschaftliche Akzeptanz geht, dann kommt man in einer mehrheitlich konservativen Wählerschaft wie in Deutschland mit Linkspopulismus nicht durch.

Interview: Stefan Vetter

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