Nationaler Notstand oder „schwerer Machtmissbrauch“?

von Redaktion

US-Präsident Trumps Erklärung zur Mauer-Finanzierung: Wir haben eine Invasion unseres Landes

Washington – Als Barack Obama im Jahr 2014 mit einer Exekutivanordnung den Kindern illegaler Einwanderer ein temporäres Bleiberecht gewährte, nachdem sich der Kongress zu dieser brisanten Frage nicht einigen konnte, griff der Privatmann Donald Trump zu Twitter – und schrieb etwas ungelenk: „Die Republikaner dürfen es Obama nicht erlauben, die Verfassung zum eigenen Nutzen zu untergraben und weil er unfähig ist, mit dem Kongress zu verhandeln.“

Doch nun hat Trump – so sehen es Kritiker – eben das getan, was er einst Obama vorwarf. Weil ihm ein zwischen Demokraten und Republikanern ausgehandelter Haushaltskompromiss lediglich 1,375 Milliarden Dollar für den Bau einer nur knapp 90 Kilometer langen Mauer an der Südgrenze zu Mexiko bescherte, erklärte er gestern in einem spektakulären Schritt den nationalen Notstand, um eines seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen zu erfüllen und den Kongress zu umgehen. Nun will der Präsident knapp sieben Milliarden US-Dollar aus anderen Haushalts-Etatposten – vor allem beim Pentagon – für sein Projekt abziehen, für das einst sogar Mexiko zahlen sollte.

„Wir haben keine Kontrolle über unsere südliche Grenze“, formulierte Trump bei seinem Auftritt im Rosengarten des Weißen Hauses. Es gebe eine „enorme Menge an Drogen“, die über die kaum gesicherte Grenze – und nicht die legalen Übergänge – ins Land komme. Man solle sich ein Beispiel an Israel nehmen, das „99 Prozent effektive Mauern“ gebaut habe. Trump verwies gleichzeitig auf die rund 40 000 Morde, die es in Mexiko letztes Jahr gegeben habe.

Nationale Notstandserklärungen habe es von anderen Präsidenten vielfach gegeben, „und niemand hat sich darum geschert“. Doch diesmal gebe es „eine Invasion unseres Landes durch Kriminelle, Drogen und Gangs“, die gestoppt werden müsse. Gleichzeitig ließ Trump gestern Angehörige von Menschen, die durch Straftaten illegaler Einwanderer ihr Leben verloren, Bilder der Toten hochhalten. „Wir müssen ein sicheres Land haben“, betonte Trump. Der Präsident hat mit seinem spektakulären Schritt nicht nur die Demokraten, sondern auch Teile der eigenen Partei geschockt. Senats-Mehrheitssprecher Mitch McConnell hatte Berichten zufolge noch letzten Monat Trump ausdrücklich vor der Ausrufung eines Notstands gewarnt und dabei verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht sowie auf die Gewaltenteilung verwiesen, die dem Kongress das Haushaltsrecht gibt.

Doch Trump sprach auch in den letzten Tagen – unter anderem bei einem Auftritt in der texanischen Grenzstadt El Paso – weiter von einer „Krise“, die sich an der Grenze abspiele. In den letzten 20 Jahren ist allerdings die Zahl der Festnahmen ziemlich konstant zurückgegangen. Im Jahr 2000 gab es noch rund 1,6 Millionen Festsetzungen, 2010 waren es knapp 450 000, im Jahr 2017 dann 304 000. Letztes Haushaltsjahr stieg diese Zahl leicht auf 397 000 an. In den ersten vier Monaten des Haushaltsjahres 2019, das im Oktober 2018 begann, waren es 202 000 Grenz-Festnahmen. Auch Republikaner wie die Senatorin Susan Collins aus dem Bundesstaat Maine sehen diese Entwicklung allerdings nicht als Notfall – und argumentieren: Die Ausrufung des nationalen Notstands nach dem „National Emergencies Act“ von 1976 sei für schwere Katastrophen oder einen Angriff auf die USA vorgesehen. Eine CNN-Umfrage zeigte gestern zudem: 66 Prozent der Bürger lehnen derzeit die Erklärung eines Notstands an der Grenze ab, nur 31 Prozent befürworten es.

FRIEDEMANN DIEDERICHS

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