London – Diese Worte müssen Jeremy Corbyn zu denken geben. „Ich lasse eine Kultur des Mobbings, der Bigotterie und der Einschüchterung hinter mir“, sagt Luciana Berger. Im Hintergrund klicken die Kameras, die 37-Jährige wirkt, als rede sie sich Schweres von der Seele. Es sei eine sehr schwierige und schmerzhafte Entscheidung gewesen. „Aber sie war nötig.“
Berger ist eine von sieben prominenten Abgeordneten, die gestern offiziell im Rahmen einer Pressekonferenz mit ihrer Partei brechen. Auslöser für ihre Entscheidung sei vor allem der Brexit-Kurs von Labour-Chef Corbyn gewesen. Und auch der Umgang mit antisemitischen Tendenzen in der Partei. Nun wollen die Abtrünnigen eine „unabhängige Gruppe“ im Parlament gründen und rufen andere Politiker auf, sich ihnen anzuschließen. Beobachter halten die Abspaltung für das Symptom einer größeren Parteienkrise auf der Insel.
Corbyn ließ kurz darauf per Mitteilung verlauten, er sei „enttäuscht“. Das ist wohl untertrieben. Unter den sieben ist auch der charismatische Abgeordnete Chuka Umunna, der als Jungstar seiner Partei gilt. Er führt eine Gruppe an, die ein zweites Brexit-Referendum fordert. „Wir haben uns der altmodischen Politik dieses Landes entledigt und eine Alternative geschaffen“, sagte Umunna. Neben ihm und Berger verlassen Chris Leslie, Angela Smith, Gavin Shuker, Mike Gapes und Ann Coffey die Partei.
Ob sie längerfristig eine neue Partei gründen wollen, ist unklar. Die Erfolgsaussichten sind auch eher gering. Das Wahlsystem in Großbritannien, das nur das Direktmandat kennt, bevorzugt die beiden großen Parteien. Obwohl auch die sich zunehmend schwer damit tun, eine klare Regierungsmehrheit zu gewinnen.
Hinzu kommt, dass sich sowohl Labour als auch die Tories aus der politischen Mitte zum jeweiligen Extrem hin entwickelt haben. Bei den Konservativen sind es die Brexit-Hardliner, die nun den Ton angeben. Bei Labour ist der linke Rand inzwischen am Steuer. Chris Leslie sagte bei der Pressekonferenz, Labour sei von den Linken gekapert worden.
Schon länger wird befürchtet, dass Labour auseinanderbrechen könnte. Die Meinungen über Corbyn, der auf eine Neuwahl setzt, gehen stark auseinander. Viele werfen dem Alt-Linken vor, im Streit um den EU-Austritt zu lange keine klare Position bezogen zu haben. Ihm wird Mangel an Enthusiasmus für die EU vorgeworfen. Viele Anhänger hat er dagegen bei jungen Wählern, die er in Scharen in die Partei zog.
Kürzlich stellte Corbyn Premierministerin Theresa May die Unterstützung seiner Partei in Aussicht, falls sie beim Brexit eine Zollunion und eine Anbindung an den EU-Binnenmarkt akzeptiere. May lehnte dies strikt ab.
Hinzu kommt, dass ihm und der Partei seit Jahren Antisemitismus-Vorwürfe nachhängen. Im Sommer räumte Corbyn öffentlich in einem Video ein, dass Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder zu langsam und zaghaft betrieben worden seien. Kritiker werfen dem 69-Jährigen außerdem eine einseitige Unterstützung der Palästinenser im Nahostkonflikt vor.
Manche können dem gestrigen Paukenschlag auch etwas Positives abgewinnen. Der europapolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Michael Georg Link, sagte, er erhoffe sich einen neuen Impuls für die festgefahrene Debatte über den Brexit.