Rom – Es ist erst gut drei Jahre her, dass der polnische Monsignore Krzysztof Charamsa den Beginn eines großen Bischofstreffens als Termin für sein Coming-Out als Homosexueller wählte. Kurz vor der wegweisenden Familiensynode im Oktober 2015 machte Charamsa Schluss mit seinem Doppelleben und stellte der Weltpresse seinen Lebensgefährten vor. Dazu denunzierte er die in der katholischen Kirche weit verbreitete Homophobie des „überwiegend homosexuellen“ Klerus und forderte eine Veränderung der offiziellen katholischen Haltung gegenüber Schwulen.
Bis heute sind die Wünsche des Priesters aus der Glaubenskongregation nicht erfüllt. Just zum Beginn der Bischofskonferenz zum Schutz von Minderjährigen in der Kirche folgt nun ein neuer Versuch, dem Doppelleben in der Kirche ein Ende zu machen. Heute erscheint in 20 Ländern und acht Sprachen – aber nicht auf Deutsch – das Buch „Sodoma“ des französischen Autors und Homosexuellen-Aktivisten Fréderic Martel. Der 51-Jährige fährt im Windschatten des Gipfeltreffens zum Missbrauch im Klerus besonders schwere Geschütze auf. Der Vatikan sei „eine der größten Schwulengemeinschaften der Welt“.
Vier Jahre will Martel für sein 600 Seiten dickes Werk recherchiert haben, wochenlang verbrachte er dazu auch Zeit im Vatikan. Einer seiner Gesprächspartner habe behauptet, 80 Prozent der Männer im Vatikan seien schwul.
Martel zieht aus diesen Aussagen den Schluss, dass das Machtsystem Vatikan gerade wegen seiner ungeschriebenen und auf homosexuellen Männerbünden fußenden Gesetzen so schwer zu durchbrechen sei. Das habe auch Folgen für den Umgang mit sexuellem Missbrauch. „Homosexualität hat an sich nichts mit Missbrauch zu tun“, sagte Martel bei einer Buchvorstellung gestern in Rom. Wenn aber schwule Kirchenführer ihre Sexualität verleugneten und unterdrückten, würden sie aus Angst vor der Öffentlichkeit auch Missbrauchstäter nicht anzeigen. „Die Kultur der Geheimhaltung, mit der allein sich das Schweigen über die massive Präsenz der Homosexualität in der Kirche bewahren ließ, hat es ermöglicht, den sexuellen Missbrauch zu verbergen“, heißt es in der englischen Version des Buchs. „Wir können nicht über Missbrauch reden, ohne über Vertuschung zu reden. Und der Vatikan ist der Meister der Vertuschung“, sagte Martel bei der Buchvorstellung.
„Es ist ein System“, sagt der frühere französische Regierungsberater und promovierte Soziologe. „Es ist keine kleine Mehrheit; es ist die große Mehrheit.“ Je härter ein Priester, Bischof oder Kardinal Homosexualität verurteile, desto wahrscheinlicher sei er selbst schwul. Den konservativen Widerstand im Vatikan gegen Franziskus, den Martel als eine Art Heilsbringer charakterisiert, rückt der Autor ebenfalls in die schwule Ecke. Dort bezeichnet man die Veröffentlichung hingegen als „mächtige mediale Operation, mit der die Kirche ins Visier genommen wird“.
Für die konservative Opposition gegen den Papst ist Homosexualität der eigentliche Grund für den Missbrauch, 80 Prozent der Opfer seien männlich, wird angeführt.
Den Zusammenhang zwischen Missbrauch und Homosexualität wollen Experten nicht bestätigen. Homosexualität könne genauso wenig wie der Zölibat per se als Ursache für sexuellen Missbrauch gelten, heißt es in einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz. Der Vatikan äußerte sich nicht zur Veröffentlichung von „Sodoma“. JULIUS MÜLLER-MEININGEN