Rom – Forscher Schritt, aufrechter Gang, unterm linken Arm eine hellblaue Aktenmappe: Schon auf den wenigen Metern, die er von seiner Wohnung im Gästehaus Santa Marta bis zur Synodenaula zurücklegt, merkt man Papst Franziskus seine Entschlossenheit an. Konzentriert wirkt er, energisch. Niemand solle glauben, er gebe sich mit halben Sachen zufrieden – so drückt es seine Haltung aus.
Franziskus weiß um die immensen Erwartungen, die in diesen Tagen auf ihm lasten. Im Rückblick könnten sie einmal über Erfolg oder Scheitern seines Pontifikats entscheiden. Schon in seinen einführenden Worten lässt er die rund 190 Teilnehmer spüren, was er von ihnen erwartet. Die Zeit „billiger Ausreden und schlichter Verurteilungen“ sei vorbei. „Die Welt erwartet von uns konkrete und wirksame Taten“, gibt er den Chefs der Bischofskonferenzen aus aller Welt, Ordensoberen, Kurienmitgliedern und Experten vor. Sein dramatischer Appell: „Hören wir die Schreie der Kleinen, die Gerechtigkeit verlangen!“
Gleich zu Beginn der Beratungen gaben fünf ausgewählte Opfer per Videoschaltung erschütternde Zeugnisse über ihre Leidenswege. Eine Frau aus Afrika berichtete etwa, wie sie ab dem Alter von 15 Jahren immer wieder von ihrem Pfarrer vergewaltigt worden sei; weil er keine Verhütungsmittel zuließ, sei sie mehrmals schwanger geworden. Der Priester habe sie jedes Mal zur Abtreibung gezwungen.
Eine wichtige Rolle wird Reinhard Kardinal Marx zugemessen: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Mitglied des Kardinalsrates erhofft sich von der Tagung einen „Schub für die Kirche, aber auch für die gesamte Gesellschaft“. Missbrauch könne niemals und nirgendwo geduldet werden. Das Regelwerk zum Umgang mit dem Thema, das die deutschen Bischöfe unter seiner Federführung erarbeitet haben, könnte dabei als eine Art Blaupause für die Weltkirche dienen. Nicht umsonst wird Marx am morgigen Samstag als Vertreter des europäischen Kontinents zur Versammlung sprechen. Die Erfahrungen der Deutschen dürften auf großes Interesse stoßen. Der Vertraute des Papstes sieht durchaus ein „spezifisch katholisches Umfeld für Machtmissbrauch“, an dessen Ursachen man gehen müsse. Dazu gehörten, so der Münchner Erzbischof, der Umgang der Kirche mit Homosexualität genauso wie Klerikalismus und Karrierismus.
Diese Einschätzung teilt auch Erzbischof Charles Sicluna, Sonderbeauftragter des Papstes. Gerade die hierarchischen Machtstrukturen begünstigten meist die Täter. Häufig führe ein falsch verstandener „Korpsgeist“ zu einer Art „Omertà“, einer Schweigespirale,. Allerdings habe sich die Ausbildung der Seminaristen wesentlich verbessert; ungeeignete oder unreife Kandidaten würden heute frühzeitig ausgesiebt. Das bestätigt Pater Hans Zollner. Der Jesuit aus Niederbayern ist Präsident des vor wenigen Jahren entstandenen „Center for Child Protection“ (Zentrum für Kinderschutz) der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und gehört zu den Organisatoren der Tagung: „Früher haben sich die Psychologen zu sehr auf ihre Tests verlassen, um zu erkennen, ob man einen pädophilen Wiederholungstäter vor sich hat und wie hoch das Risiko eines Rückfalls ist. Da wurden dann viel zu vorschnell Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausgestellt. Inzwischen wissen wir, wie unzuverlässig diese Methoden sind.“ Heute würde man so jemanden aus dem Verkehr ziehen.
Jüngste Statistiken geben ihm Recht: Über zwei Drittel der Fälle, die bis heute weltweit in der katholischen Kirche aufgedeckt wurden, stammen nach Angaben des Vatikans aus der Zeit bis ca. 1970. Die medizinische Präventionskultur, so Zollner, habe sich inzwischen drastisch verbessert. Die müsse jetzt rasch überall verankert werden. Genau das will der Papst: eine einheitliche Strategie zur Prävention erarbeiten, die in allen Bischofskonferenzen der Welt angewendet wird.