Rom/München – Führende Vertreter der katholischen Kirche haben am zweiten Tag des Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan dazu aufgerufen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und Reue zu zeigen. Kein Bischof dürfe annehmen, dass ihn sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche nichts angehe oder in „seinem Teil der Welt“ nicht stattfinde, sagte der indische Kardinal und Erzbischof von Mumbai, Oswald Gracias, am Freitag in Rom. „Wir müssen bereuen und dies gemeinsam und kollegial tun. Denn auf dem Weg haben wir versagt. Wir müssen um Verzeihung bitten.“
Papst Franziskus hat die viertägige Konferenz einberufen, um den lange vertuschten sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche künftig zu verhindern und die Bischöfe auf der ganzen Welt für das Problem zu sensibilisieren.
Der deutsche Pater Hans Zollner rief den 190 Teilnehmern erneut die Stimme der Opfer in Erinnerung. „Als ich von einem Geistlichen missbraucht wurde, hat mich meine Mutter Kirche alleine gelassen“, las er vor. „Als ich jemanden aus der Kirche brauchte, um über den Missbrauch und meine Einsamkeit zu reden, haben sich alle versteckt und ich habe mich noch einsamer gefühlt, da ich nicht wusste, an wen ich mich wenden soll.“
Erstmals ist beim Krisengipfel über konkrete rechtliche Vorschläge diskutiert worden. Der Vatikan will zudem in naher Zukunft über die Zahl aller Geistlichen informieren, die wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen kirchenrechtlich bestraft wurden. Das kündigte der Chefermittler des Papstes für Sexualstraftaten, Erzbischof Charles Scicluna, an.
Der US-amerikanische Kardinal Blase Cupich beklagte „systemisches“ und „massives Versagen“ und forderte „unaufhörliche Anstrengung, um sexuellen Missbrauch durch Geistliche in der Kirche auszurotten“. Der Erzbischof von Chicago plädierte dafür, verstärkt Nicht-Kleriker in die Aufklärung einzubeziehen. Zugleich machte er Vorschläge, wie gegen Bischöfe vorgegangen werden kann, die Missbrauch vertuscht haben. Nach seiner Vorstellung sollten dabei die Metropolitan-Erzbischöfe die Rolle des Ermittlers übernehmen.
Um der Diskussion eine Linie vorzugeben, hatte der Papst selbst eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt, welche Maßnahmen zum Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche beitragen könnten. Er nannte den verpflichtenden Einsatz unabhängiger Ansprechpartner für Opfer sexueller Gewalt und die Einbeziehung von Experten bei der Auswahl von Kandidaten für das Priesteramt.
Während die betroffenen Opfer bezweifeln, dass weitreichende Maßnahmen beschlossen werden, glaubt der Münchner Kardinal Reinhard Marx, der am heutigen Samstag vor seinen Amtsbrüdern sprechen wird, nach wie vor an ein gutes Ergebnis des Treffens. Er wünscht sich eine Art „Selbstverpflichtung der Bischöfe, dass sie Konsequenzen ziehen und sich der Tragweite bewusst sind. Der Gipfel werde nicht ohne Ergebnis sein, das spüre ich jetzt schon“, hatte er in den ARD-„Tagesthemen“ gesagt. Am Freitag noch hatte sich der Kardinal eineinhalb Stunden mit 16 Vertretern von Opfern getroffen und mit ihnen das Verständnis von „Null Toleranz“ gesprochen. Organisiert hatte das Treffen der Deutsche Matthias Katsch vom „Eckigen Tisch“, der sich tags zuvor darüber beklagt hatte, dass die Opfer nicht gehört würden.