Berlin – Der nach Tunesien abgeschobene Freund des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri hat für den Abend des Anschlags kein wasserdichtes Alibi. Die Ermittler notierten am 20. Januar 2017, die bisherigen Erkenntnisse zu Bilal Ben Ammar könnten „eine Tatbeteiligung und/oder ein Mitwissen in Zusammenhang mit dem LKW-Angriff am Breitscheidplatz vom 19.12.2016 bisher weder bestätigen noch ausschließen“. Dennoch wurde der 28-jährige Islamist zwölf Tage später in seine Heimat Tunesien abgeschoben.
Bei seiner ersten Vernehmung hatte er angegeben, am Tattag in der Sprachschule und zu Hause gewesen zu sein. Doch das war falsch, wie eine Nachfrage in der Schule dann ergab. Dem Deutsch-Kurs war er am 19. und 20. Dezember 2016 unentschuldigt ferngeblieben. Später behauptete Ben Ammar, er sei krank gewesen. Doch auf seinem Smartphone entdeckte die Polizei ein Foto vom 19. Dezember, das den Weihnachtsmarkt in Berlin-Spandau zeigt. Wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht, fanden die Beamten zudem einen Einkaufsbeleg eines Supermarkts vom gleichen Tag. Bekannt ist, dass er sich am Vorabend des Tattags mit Amri zum Essen traf.
Ben Ammar hatte sich in Deutschland unter verschiedenen Namen als Asylbewerber registrieren lassen und zahlreiche Straftaten verübt. Das geht aus dem Schreiben eines Beamten des Bundesinnenministeriums vom 16. Januar 2017 hervor, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. In der Mail an die damalige Staatssekretärin Emily Haber geht es darum, dass Ben Ammar möglichst bald abgeschoben werden sollte.
Der Beamte zitiert darin Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke, indem er schreibt: „Das Verhetzungspotential (ein Begriff von Herrn Engelke, den ich sehr treffend finde) in dem Sachverhalt ist wieder enorm, allein schon wegen seiner 12 Aliasse“. Einer Namensliste zufolge nannte sich Ben Ammar unter anderem Fathi Mheni, Abu Bakir Muawed und Ahmad Hassan. Der Tunesier gab sich mal als Marokkaner, mal als Ägypter, dann wieder als Libyer aus.
Ben Ammar war nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden 2014 zusammen mit anderen Tunesiern per Boot nach Italien und dann über die Schweiz nach Deutschland gekommen. Er stellte unter anderem in Chemnitz einen Asylantrag. Seinen Bekannten Anis Amri traf er am 18. Dezember 2016, einen Tag, bevor Amri in Berlin einen Lastwagen kaperte, damit auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz raste und zwölf Menschen tötete. Amri konnte nach dem Attentat nach Italien fliehen, wo er vier Tage später von der Polizei erschossen wurde.
Wie die Polizei später herausfand, hatte Ben Ammar in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft mit Kindern Hinrichtungen durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nachgestellt. Das geht aus einem Vermerk des Bundeskriminalamtes hervor. Den Behörden war er durch Diebstähle, Rauschgiftdelikte und Sozialhilfebetrug bekannt. Außerdem stuften sie ihn als islamistischen Gefährder ein.
Der Untersuchungsausschuss des Bundestags, der Behördenfehler rund um den Anschlag aufklären soll, will Ben Ammar wahrscheinlich als Zeugen vernehmen – ob in Berlin oder in Tunesien, ist noch nicht entschieden.