München – Grausam, unfassbar, rechtswidrig. Als die GroKo Mitte 2018 ihren Entwurf für die Neuregelung des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge vorlegte, hagelte es heftige Kritik. Grüne, Linke, Hilfsorganisationen und Kirchen hielten die Obergrenze von 1000 Angehörigen im Monat für unmenschlich, weil zu niedrig – die AfD gruselte sich indes vor mehr Flüchtlingen. Im August trat die Regelung in Kraft, es passierte Überraschendes: Die 1000er-Marke wurde weit unterschritten. Das hat sich inzwischen geändert. Eine Bestandsaufnahme.
Um wen geht es?
Wer politisch verfolgt wird oder nach der Genfer Konvention als Flüchtling anerkannt ist, darf seine Angehörigen ohnehin nach Deutschland holen. Die subsidiär geschützten Flüchtlinge, um die es hier geht, bilden eine dritte Gruppe: Oft sind es Syrer, die nicht verfolgt werden, aber eben aus einem Kriegsgebiet kommen. Auch sie dürfen seit August 2018 wieder Angehörige nachholen, konkret: Erwachsene ihre Ehepartner und minderjährigen Kinder, Minderjährige die Eltern.
Wie sind die Zahlen?
Der Prozess lief schleppend an. Von August bis Anfang November 2018 hatten nur 786 Angehörige ein Visum für Deutschland erhalten. Wie das Innenministerium bestätigte, stiegen die Zahlen plötzlich. Im Dezember wurden 1050 Visa erteilt, im Januar 1096 und im laufenden Monat bis 18. Februar schon 701. Nach Bayern kamen mit der neuen Regelung von August bis Dezember 48 Menschen. Berücksichtigt man auch die regulären Familiennachzüge, kamen 2018 genau 3302 Menschen nach Bayern.
Warum der Anstieg?
„Mich hat eher überrascht, dass es am Anfang so wenige waren“, sagt Migrationsforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Vergangenes Jahr schätzte er, dass bis zu 60 000 Familienangehörige von subsidiär geschützten Flüchtlingen nachziehen könnten. Das Potenzial lag also weit über den tatsächlichen Zahlen. Brücker vermutet, dass das Problem auf Verwaltungsebene lag. Auch aus dem Innenministerium heißt es, die Abläufe zwischen verschiedenen Ebenen hätten sich erst einspielen müssen.
Wer entscheidet?
Das Prozedere ist kompliziert. Der Flüchtling beantragt bei einer deutschen Ausländerbehörde Visa für seine Angehörigen. Die wiederum werden in ihrer Heimat bei einer deutschen Vertretung (Botschaft oder Konsulat) vorstellig, sofern es eine gibt. Oft müssen sie auch zur nächsten Vertretung ins Ausland reisen. Dort werden Identität und Verwandtschaftsbeziehungen der Antragsteller geprüft (auch kompliziert, weil oft Heiratsurkunden fehlen). Aktuell liegen 36 000 Terminanfragen zum Familiennachzug bei deutschen Auslandsvertretungen vor.
Nach einer weiteren Prüfung in den deutschen Ausländerbehörden landen die Anträge beim Bundesverwaltungsamt, das eine Auswahl trifft. In diesem Prozess wird radikal ausgesiebt. Laut Auswärtigem Amt beschieden deutsche Auslandsvertretungen seit August 2018 genau 7509 Anträge positiv. Das Bundesverwaltungsamt wählte am Ende aber nur 4136 Anträge aus. Insgesamt wurden seither 3708 Visa erteilt.
Hält die Grenze?
Dass die Visazahl im Dezember und Januar 1000 überstieg, mag zunächst irritieren. Die vereinbarte Obergrenze wird trotzdem nicht überschritten. Denn die Marke 1000 bezieht sich nicht auf die erteilten Visa, sondern auf die positiven Entscheidungen im Bundesverwaltungsamt. Das genehmigte im Januar nur 880 Anträge, lag also klar unter der Grenze. Die Abweichungen von Dezember und Januar erklärt das Innenministerium mit Zeitverzug. So stecken in der Januar-Zahl von 1096 noch Visa-Entscheidungen aus dem Vormonat.
Wer kommt zuerst?
Sollten es mehr als 1000 positive Bescheide sein, muss das Verwaltungsamt auswählen, wer Vorrang hat. Entscheidend sind etwa die Dauer der Trennung, das Kindeswohl und die Frage, ob die Angehörigen in Lebensgefahr sind.